Das Versprechen nicht gehalten

Carlo Ancelotti muss sich einigen Fragen stellen
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Der FC Bayern München ist in der entscheidenden Saisonphase in eine Ergebniskrise geraten und hat dadurch die Chance auf den Champions-League- und den DFB-Pokalsieg verspielt. Erstmals seit 17 Jahren blieben die Münchner zuletzt fünf Pflichtspiele in Serie sieglos. Die schwachen Resultate haben verschiedene Gründe, sind aber nicht komplett unverschuldet - Carlo Ancelotti muss sich einigen Fragen stellen.

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"In der ersten Saisonhälfte darf man Fehler machen, in der zweiten nicht."

Eine Aussage von Carlo Ancelotti, getroffen im Herbst 2016, die sich eingebrannt hat. In einem Herbst, in dem beim FC Bayern München nicht alles rund lief. In dem eine Debatte um die fehlende Dominanz in Ligaspielen begann. In dem der Rekordmeister erstmals seit Jahren den Gruppensieg in der Champions League verpasste und zwischenzeitlich die Tabellenspitze in der Bundesliga abgab.

Alles halb so wild, beruhigte Ancelotti, schließlich würden die Titel erst im Frühjahr vergeben.

Mythos des Unbesiegbaren

Um den Mister entwickelte sich beinahe ein Mythos des Unbesiegbaren in der entscheidenden Saisonphase. Und dieser schien sich zu bewahrheiten, als der Rekordmeister Ende Februar Fahrt aufnahm, in der Bundesliga in fünf Spielen 21:0 Tore erzielte und in der Champions League mal eben zweimal 5:1 über Arsenal hinwegfegte.

Pünktlich vor dem April, in dem acht Pflichtspiele auf dem Programm standen, schien die Ancelotti-Truppe voll da zu sein. Und so versprach der April, ein rot-weißer Monat zu werden.

Doch nach acht von neun Spielen im Alles-oder-Nichts-Monat ist die Bilanz mangelhaft: nur zwei Siege, zwei Unentschieden, vier Niederlagen - erstmals seit dem Jahr 2000 blieben die Bayern zuletzt fünf Pflichspiele ohne Sieg. Das Ergebnis: Aus in der Champions League, Aus im Pokal.

Klar, am Ende steht aller Voraussicht nach der fünfte Meistertitel in Folge. Doch - auch wenn es am Mittwoch in der Mixed Zone der Allianz Arena nach dem Pokalaus im Halbfinale gegen Borussia Dortmund keiner so wirklich aussprechen wollte - ein Titel ist beim Anspruch des FC Bayern zu wenig. Es sei zwar "nie eine schlechte Saison", wenn man einen Titel hole, sagte Philipp Lahm. Aber als richtig gut wird sie wohl niemand bezeichnen.

Gründe der Ergebnisse

Die Gründe der einzelnen Ergebnisse im April sind individuell zu betrachten.

So waren etwa die Leistungen in Madrid oder eben am Mittwoch gegen Dortmund stark, überzeugend und eines Weiterkommens würdig. Doch die Bayern stolperten über unglückliche Schiedsrichterentscheidungen, mangelnde Chancenverwertung, individuelle Fehler oder die Hypothek einer schwachen Halbzeit im Hinspiel. Ein Hinspiel, das wiederum durch die Verletzungsmisere zur Unzeit verzerrt war.

Dann wäre da noch die Niederlage in Sinsheim, bei der die Bayern in der ersten Halbzeit überrascht von der hohen Intensität der TSG 1899 Hoffenheim waren. Bei der sie zeitweise an die Wand gespielt wurden, sich aber in der zweiten Hälfte zusammenrissen und am Ende mindestens einen Punkt verdient gehabt hätten.

Die Punktverluste gegen Bayer Leverkusen und den 1. FSV Mainz 05 sind derweil vor allem mit der fehlenden Spannung rund um die K.o.-Spiele in den Pokalwettbewerben zu erklären. Kein Beinbruch.

Bilanz ist Fakt

Carlo Ancelotti sind die Ergebnisse der letzten Wochen individuell kaum vorzuwerfen. Jedes für sich hatte seine eigene Geschichte. Eine Verkettung unglücklicher Umstände.

Und doch ist die Bilanz aus den letzten Spielen Fakt und nicht ausschließlich mit einem perfiden kosmischen Plan zu erklären. Der Erfolg verdeckt Sollbruchstellen. Bleibt die Vielzahl an Titeln aus, kommen Fragen zum Vorschein.

Im Laufe der Saison hat der Italiener kaum Alternativen für seine festen Stützen ausprobiert. Robert Lewandowski spielte immer, wenn er fit war. Und eigentlich ist er ja auch immer fit. Dass er ausgerechnet gegen Real ausfiel, war aus Sicht der Bayern unglücklich.

Dass Thomas Müller in der Sturmspitze allerdings deplatziert wirkte, war auch dem geschuldet, dass er im Laufe der Saison kaum Praxis auf der Position bekam.

Fehlende Weiterentwicklung Einzelner

Ohnehin gehört Müller zu den Beispielen von Spielern, die unter Ancelotti nicht den nächsten Schritt gemacht haben, sondern stattdessen stagnieren. Ancelotti hat es bislang nicht geschafft, den Spielertyp Müller in sein System zu integrieren.

Auch die Entwicklung der jungen Spieler förderte der Italiener in seiner Premierensaison nicht unbedingt. Dass im Rückspiel gegen Real Madrid die älteste FCB-Startelf der Champions-League- und im Halbfinale gegen Borussia Dortmund die älteste Elf der Münchner Pokalgeschichte auf dem Platz stand, war auch der Kaderstruktur geschuldet.

Nichtsdestotrotz hat es Ancelotti verpasst, Spieler wie Joshua Kimmich zu fördern und weiterzuentwickeln - und das trotz überzeugender Auftritte in der Hinrunde. Auch Kingsley Coman knüpfte nicht an die vielversprechenden Ansätze der Vorsaison an. David Alaba spielt seine wohl schwächste Bayern-Saison und steht erstmals in seiner Karriere regelmäßig in der Kritik.

Kaum taktische Varianz

Neben der personellen Komponente zeigt sich der Mister in seiner Premierensaison als Bayern-Trainer auch taktisch starr. Eilte ihm aus seiner Zeit bei Real Madrid noch der Ruf voraus, sich individuell auf den Gegner einzustellen, schickte er die Bayern immer im 4-3-3, später nur noch im 4-2-3-1 auf den Platz.

In einer Phase, als sämtliche Innenverteidiger aus Verletzungsgründen fraglich waren, wehrte er die Frage nach einer möglichen Dreierkette entschieden ab: "Never!"

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Darüber hinaus kamen zuletzt Fragezeichen um die Wohlfühloase auf, die der 57-Jährige bei seinem Amtsantritt mitgebracht hat. Gestenreiches Abwinken auf dem Platz zwischen Lewandowski und Robben gab es im Spiel gegen Mainz nicht zum ersten Mal. Dazu kamen Gerüchte um ein Zerwürfnis zwischen Ancelotti und Ribery.

Trainer von Weltformat mit Modifikationsbedarf

In seiner ersten Saison in München zeigt der Italiener, dass er ein Trainer von Weltformat ist. Er hat es geschafft, in den wichtigen Spielen große Leistungen aus der Mannschaft zu kitzeln. Er hat Thiago weiterentwickelt und diesem zu seiner bisher stärksten Saison verholfen. Und er wird den FC Bayern, gänzlich darf das nicht unter den Tisch fallen, zur fünften Meisterschaft in Folge führen.

Wenn Ancelotti jedoch der Mann sein soll, der den bevorstehenden Umbruch beim deutschen Rekordmeister moderieren soll, wird auch er seine Arbeit hinterfragen und punktuell modifizieren müssen.

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