DFB-Team holt gegen Estland das Wir-Gefühl zurück: Ein Schützenfest für das Image

Deutschland hat Estland mit 8:0 geschlagen.
© getty

Die DFB-Elf hatte mit Estland gewiss keinen Gegner auf Augenhöhe aus dem Weg zu räumen. Mehr als die Freude über den dritten Sieg im dritten EM-Qualifikationsspiel überwog nach dem 8:0 (5:0) gegen den Weltranglisten-96. deshalb das Wir-Gefühl, das Spieler und Zuschauer erstmals seit der Schmach von Russland vermittelt hatten.

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Selbst in dem größten Überflieger an diesem festlichen Abend in Mainz steckte genug Realitätssinn, um wieder behutsam auf dem Boden der Tatsachen zu landen. "Solche Gegner", sagte Marco Reus nach dem Acht-Tore-Fest gegen Estland schmunzelnd, "sind für uns sicherlich nicht der Gradmesser."

Die heillos überforderten Gäste, das war schon beim Abschlusstraining am Vortag erkennbar gewesen, bewegten sich eher auf dem Niveau einer ambitionierten Regionalligamannschaft anstatt eines Teams, das um die Qualifikation für die Europameisterschaft spielt.

Und doch hatten der Dortmunder Doppelpacker und seine alles andere als urlaubsreif wirkenden Kollegen allen Grund, das Mainzer Stadion mit einem Gefühl der Genugtuung zu verlassen. Genugtuung, weil sie seit langem mal wieder das Wie des Triumphes nach ihren Vorstellungen gestaltet hatten. Ganz zur Freude der Fans.

Reus zufrieden: "Extrem wichtig für unser Selbstvertrauen"

"Wir wollten viele Tore erzielen, das war extrem wichtig für unser Selbstvertrauen. Wir sind ja immer noch in der Entwicklung", betonte Reus. Man habe beim höchsten Sieg seit dem 8:0 über San Marino im November 2016 einen "sehr guten Rhythmus" an den Tag gelegt, "auch nach der Halbzeit", wie der 30-Jährige befand.

Zur Pause hatte es bereits 5:0 gestanden, Reus selbst war mit einem kunstvollen Freistoßtor in der 37. Minute zum gefeierten Mann der Mannschaft von Interimsbundestrainer Marcus Sorg avanciert.

Die 26.050 Zuschauer spendeten aber nicht nur dem Offensivmann nach dessen Auswechslung in der 66. Minute stehende Ovationen. Als das Spiel abgepfiffen wurde, erhoben sie sich alle, klatschten munter und begannen "Oh, wie ist das schön" zu singen. Ein Lied, das allerspätestens seit der WM im vergangenen Jahr nicht mehr bei deutschen Länderspielen vernommen worden war.

Kimmich und Gündogan schwärmen von Fans

"Es hätte nicht viel besser laufen können", erkannte Sorg hinterher. Der 53-Jährige, der den wegen eines Sportunfalls verhinderten Chefcoach Joachim Löw mit einer Bilanz von zwei Siegen und einem Torverhältnis von 10:0 doch recht passabel vertreten hatte, hob vor allem die "Begeisterung" hervor, mit der sein Team die Anhänger angesteckt habe.

"Es hat richtig Spaß gemacht. Wir haben eine gewisse Spielfreude und Leidenschaft gezeigt. Das haben die Fans gemerkt und uns super unterstützt", sagte auch Joshua Kimmich.

Sein Mittelfeldpartner Ilkay Gündogan, der die frühe Führung durch Serge Gnabry mit einem seiner vielen gefürchteten scharfen Pässe in die Tiefe eingeleitet und später mit einem Elfmetertor ausgebaut hatte, freute sich explizit über den warmen Applaus bei seiner Auswechslung in der 53. Minute: "Das tut einfach gut und zeigt, dass man gut gespielt hat und dass es wieder Spaß macht - nicht nur uns auf dem Platz, sondern auch den Zuschauern auf den Rängen."

Image-Erfolg für den DFB - Goretzka warnt

Vielleicht war Mainz, diese sympathische Karnevalshochburg an der Grenze des Rheinlands, ja genau der richtige Ort für dieses auf dem Papier doch so unspektakulär daher kommende letzte Länderspiel der deutschen Elf vor der Sommerpause. Die Stimmung konnte sich schon am Nachmittag in der Altstadt sehen lassen, als eine Gruppe von Straßenmusikanten im Yeti-Look mit Trommeln und Trompeten für mächtig Rabatz sorgte. Und sie wurde im Stadion immer besser.

Anders als beim vorherigen Heimauftritt in Wolfsburg war nicht jeder Schrei oder jeder Ballkontakt auf den Rängen zu hören. Eine Tatsache, die der Verband nach vielen, nicht unberechtigten Vorwürfen der Entfremdung durchaus als Image-Erfolg, als Schritt zurück zur Einheit verbuchen durfte. Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff, der direkt neben der Pressetribüne saß, beklatschte jeden Treffer lebhaft und stand auch noch Minuten nach dem Abpfiff dort oben, um die angenehme Atmosphäre aufzusaugen.

Rein sportlich wollte aber auch er dieses 8:0 nicht überbewerten. Bierhoff erschien nicht einmal in der Mixed Zone, um seine Einschätzung zu der Partie zum Besten zu geben. Es war ja schließlich nur Estland.

Das nächste Qualifikationsspiel am 6. September gegen die Niederlande in Hamburg wird eine andere Hausnummer. Leon Goretzka, einer der sechs Torschützen am Dienstag, bekräftigte daher: "Der Umbruch ist noch lange nicht abgeschlossen. Es kommen noch ganz andere Gegner auf uns zu, da muss alles zu 100 Prozent stimmen. Und da sind wir noch lange nicht."

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