Torjäger gesucht in der Nationalmannschaft: Wo ist bloß der Torriecher für das DFB-Team?

Wer soll die Tore schießen? Marco Reus, Timo Werner und Thomas Müller (v.l.).
© getty

Deutschland hat das Testspiel gegen Peru mit 2:1 gewonnen, doch die Offensivabteilung konnte einmal mehr nicht überzeugen. Spieler und Trainer sind ratlos, wie das Problem der fehlenden Torgefahr gelöst werden kann. Besserung ist nicht in Sicht.

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Dass Bundestrainer Joachim Löw mit seinen daddelwütigen Nationalspielern die Leidenschaft für Fortnite oder FIFA teilt, ist bekanntlich nicht der Fall. "Ob ich mal Playstation gespielt habe? Nein", verriet er ein paar Wochen vor der WM im Rahmen eines Sponsorentermins.

Eigentlich müsste ihm oder seinem Stab ja sowieso eher ein Fußball-Managerspiel zusagen, passt es doch viel eher in den Aufgabenbereich. Anstoß 3 zum Beispiel, das PC-Spiel aus dem Jahr 2000, das in vielen Zockerkreisen bis heute noch Kultstatus besitzt.

Als Anstoß 3 erschien, war Löw gerade Trainer beim Karlsruher SC, eine zufällige Berührung im Trainingslager oder Teamhotel also nicht ausgeschlossen. Hätte er einen seinen Spieler auf die Kniffe des Spiels angesprochen, er hätte folgende Antwort bekommen können: "Das Wichtigste ist ein zuverlässiger Stürmer, der regelmäßig seine Buden macht. Und dafür braucht er vor allem eine Fähigkeit: Torinstinkt."

Bei Anstoß 3 wurde der Torriecher damals mit einer Fuchsschnauze symbolisiert: das Näschen für den Treffer, der vielgerühmte Torriecher, auch die kaltschnäuzige Cleverness, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu stehen oder mal aus keiner Chance ein Tor zu machen.

Nach den Länderspielen gegen Frankreich und Peru muss man - wie schon nach der WM in Russland - konstatieren: Dieser Torriecher geht der DFB-Elf derzeit völlig ab.

Deutschlands Chancenverwertung: Erst 2 aus 72, jetzt 2 aus 26

Schon in Russland waren die Werte des Titelverteidigers in puncto Abschluss katastrophal. Unglaubliche 72 Torschüsse gab man in drei Vorrundenspielen ab, 20 davon gingen auf den gegnerischen Kasten. Ganze zwei davon waren drin: Marco Reus' Ausgleich gegen Schweden und der Freistoß von Toni Kroos in der Nachspielzeit.

Nun sind drei Partien nicht gerade repräsentativ, allein stellen sie noch keinen Trend da. Aber wer hoffte, dass mit dem Neuanfang, der Mission Wiedergutmachung nach dem verpatzten Turnier, der neuen Einstellung und dem neuen Siegeswillen auch in dieser Kategorie Besserung einkehren würde, der sah sich nach zum Ende der Länderspielpause ernüchtert.

Wieder hatte sich Deutschland gute Chancen erspielt, gegen den Weltmeister und gegen einen WM-Teilnehmer, aber wieder war die Pille trotz bester Chancen zu selten im Netz gelandet. Ein abgezockter Abschluss von Julian Brandt nach einer Vorlage von Kroos, die in der Entstehung aber auch ein bisschen Zufall enthielt, und ein fataler Torwartfehler zum Sieg. 26 Torschüsse in 180 Spielminuten, wieder eine eher magere Ausbeute.

Keine Torgefahr: Die Spieler sind ratlos, Löw sucht nach Lösungen

Der fehlende Torinstinkt ist längst auch bei den Spielern ein Thema. Die mussten sich eingestehen, dass der Abschlussschwäche mit der richtigen Einstellung allein noch lange nicht beizukommen ist. "Wir hatten heute in der ersten Halbzeit mehrere gute Torchancen. Dann muss man sie natürlich machen", sagte Marco Reus, der mehrere gute Chancen vergeben hatte. "Es zieht sich schon länger durch, wir sind nicht ganz so effizient vor dem Tor. Das ist ein Schwachpunkt", analysierte Thomas Müller, der seit März auf einen eigenen Treffer wartet. "Unser Problem ist es aktuell, unsere Chancen zu nutzen", wusste auch Kroos.

Dem Trainerstab ist das Problem natürlich nicht verborgen geblieben: Ein echter Knipser, wie es ihn in der DFB-Geschichte so oft, eigentlich fast immer, gegeben hatte, ist derzeit nicht zu sehen. Und so probierte Löw verschiedene Rezepte aus, um wieder öfter jubeln zu können.

Timo Werner, im Zentrum nicht effektiv, ging auf den Flügel, Kombinationsspieler Reus rückte in die Mitte und sollte Überzahl im Mittelfeld schaffen. Ilkay Gündogan, bei Manchester City durchaus torgefährlich, kam gegen Peru für Goretzka - zuerst die körperliche, dann die technische Variante. Innenverteidiger Matthias Ginter auf der rechten Abwehrseite als Kimmich-Ersatz und mit ihm die Hoffnung auf Tore nach Standards. Alles nachvollziehbar, und nicht erfolglos: Die Chancen waren ja da.

DFB-Elf: Niemand trifft doppelt, ein Strafraumstürmer fehlt

Aber Löw kann den Ball eben nicht selbst über die Linie tragen. Seit nun schon elf Spielen, unabhängig vom Kaliber des Gegners, hat Deutschland nicht mehr als zwei Tore erzielt. Brandt und Nico Schulz waren die Torschützen sieben und acht der letzten acht Tore. Jeder darf mal - aber niemand kann es so richtig.

Löw kann sich einen treffsicheren Stürmer nicht backen. Im Gegenteil, durch die Rücktritte von Sandro Wagner und Mario Gomez sind seine Optionen geschrumpft. Nun bleibt nicht einmal mehr ein Brecher auf der Bank, den man für die Schlussviertelstunde in den Strafraum werfen kann. Und der ist zu oft verwaist: Reus, Gündogan, Brandt und Werner spielten gegen Peru oft passabel um den Sechzehner herum, aber wenn der Ball die Kreidelinie überquerte, rutschte ihnen das Herz in die Hose.

"Natürlich ist es nicht meine Lieblingsposition", gab Reus zu, man könne ihn nicht hoch anspielen. Heißt: Die Flanke aus dem Halbfeld fällt weg, und wenn man sich über die Außen mal an die Grundlinie kombiniert hat, bleibt nur der flache Pass in den Rücken, weil hoch nicht funktioniert und der Fünfer sowieso leer ist. So waren die Hereingaben für den Gegner insgesamt zu ausrechenbar.

Und Besserung ist nicht in Sicht. Im Nachwuchs gibt es derzeit keinen hochtalentierten Angreifer der Marke Riedle, Klinsmann oder Klose, Spezialisten muss man sich in den Leistungszentren erst wieder heranzüchten. Das kann dauern.

Länderspiele 2018: Keine Aufbaugegner für Deutschland in Sicht

Deshalb verspräche auch eine Systemumstellung keine Besserung. Schließlich ist Löw mangels Alternativen vom echten Neuner abgerückt. Die Offensivspieler sollen rotieren, kombinieren, irgendwie vors Tor kommen. Aber sie sind sich alle zu ähnlich, jetzt, wo sogar Werner zum Außenstürmer mutiert ist. Einen klassischen, torgefährlichen Zehner wie Eden Hazard oder Kevin De Bruyne hat man ebenfalls nicht.

Löw kann nur hoffen, dass sein Kader, der sich auch im November in den Nations-League-Duellen gegen Holland (13. Oktober) und Frankreich (16. Oktober) nicht großartig ändern dürfte, die Torgefährlichkeit in der Liga wiederentdeckt. Schließlich sind es allesamt hochtalentierte Fußballer.

Vielleicht hilft es, wenn die WM irgendwann endlich abgehakt ist, und der Druck auf schnelle Wiedergutmachung nicht mehr so hoch ist. Oder wenn der Knoten einfach irgendwann platzt, wie es früher bei einem Miro Klose nach Durststrecken öfter der Fall war.

Das Problem: So schnell kommen zumindest in der Nationalmannschaft keine Aufbaugegner, bei denen man sich den Frust von der Seele schießen kann, wie früher gegen die Kleinen bei einer Qualifikationsrunde. Zweimal Niederlande, der Weltmeister auswärts und Russland heißen die weiteren Gegner in diesem Kalenderjahr. Geschenke werden dabei sicherlich nicht verteilt.

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