Watschn mit Ansage

Thomas Müller und der FC Bayern haben in Paris eine Klatsche kassiert
© getty

Der FC Bayern München kassiert bei Paris St.-Germain eine deutliche 0:3-Niederlage und offenbart dabei die alten Probleme. Die Ursachenforschung ist schwierig. Trainer Carlo Ancelotti kannte zwar die Pariser Stärken, konnte sie aber mit seiner Taktik nicht kontrollieren. Die Spieler haben verschiedene Erklärungsansätze.

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Eine schnelle Bewegung, eine blitzartige Verlagerung des Körperschwerpunkts, einmal abgeduckt und zack, hatte er sich vorbeigeschlängelt und war wieder entwischt. Neymar war an diesem Abend einfach nicht zu halten, auch als das Spiel vorbei war.

Während Thomas Müller im Trainingsanzug im Vordergrund die 0:3-Niederlage des FC Bayern im Pariser Prinzenpark zu erklären versuchte, huschte Neymar in hellbrauner Lederjacke modisch top gekleidet im Hintergrund vorbei und machte sich auf den Weg aus dem Stadion.

Die Beschreibung der Szene hätte auch auf viele Momente im Spiel gut gepasst. Zu schnell, zu trickreich, einfach zu gut waren Neymar und sein Offensivkollege Kylian Mbappe für die Münchner.

Bayern lässt weiter zu viele Konter zu

Es gab keine zwei Meinungen bei der Beurteilung dieses Spiels. Die Bayern hatten gegen eine phänomenale Offensive aus Paris zu viele Konter zugelassen und mussten sich am Ende sogar vorführen lassen. Es war eine Lehrstunde, wie sie die Münchner schon lange nicht mehr erlebt haben. Auch nicht beim 0:3 in Barcelona vor gut zwei Jahren oder beim 0:4 zuhause gegen Real Madrid.

Das Ungewöhnliche an dieser Niederlage war, dass man sie hat kommen sehen, viele Beobachter auch in dieser Deutlichkeit. Es war sozusagen eine Watschn mit Ansage. Und die Münchner sind sehenden Auges in diese Watschn hineingelaufen.

Man dürfe Neymar, Mbappe und Edinson Cavani keinen Raum geben. Man müsse auf die Konter von PSG achten. Und man brauche eine gute Balance. Diese Vorgaben machte Ancelotti nicht in der Spielbesprechung, sondern auf der Pressekonferenz am Dienstag.

Gut 29 Stunden später sagte er an gleicher Stelle: "Wir hatten nicht die nötige Balance, um die Konter von PSG zu vermeiden."

Ancelotti flüchtet sich in Tatsachenbeschreibungen

Offen blieb die Frage nach dem Warum. Natürlich, das schnelle 0:1 nach 86 Sekunden hatte das Spiel verändert und PSG in die Karten gespielt. Aber die Bayern hatten neben dem 0:1 mehr wacklige Momente in den Anfangsminuten und sie hätten trotz des Rückstands nicht sofort fast ohne Absicherung nach vorne spielen müssen.

Es war erstaunlich, wie oft die Münchner Verteidiger schon in Halbzeit eins in Eins-gegen-eins-Situationen gegen die flinken und trickreichen Angreifer gezwungen wurden, während das Mittelfeld nicht schnell genug zurückkam.

Ancelotti konnte oder wollte die genauen Gründe für das fehlende Gleichgewicht trotz mehrmaliger Nachfrage nicht erklären. Der Italiener flüchtete sich in seinen englischen Antworten dann oft in Tatsachenbeschreibungen, anstatt Ursachenbeschreibungen zu liefern.

Kimmich mahnt fehlende Konzentration an

Also bei den Spielern nachfragen: Auch hier war natürlich das frühe Gegentor ein Thema. "Das schlimmste Szenario, das es gibt", meinte Arjen Robben. "Das Spiel ging quasi mit 1:0 für Paris los", sagte Thomas Müller.

Man müsse sich nicht wundern, dass Paris seine Stärken ausspielen konnte, wenn man in der zweiten Minute schon ein Gegentor kassiert, meinte Joshua Kimmich, der dann auch ein Liste an möglichen Mängeln aufzählte. "Das ist eine Frage von Konzentration und wie wach man in das Spiel geht, mit welcher Körperspannung, mit welcher Körpersprache. Daran müssen wir arbeiten", sagte der Rechtsverteidiger.

"Natürlich war unser Plan, dass wir die Mitte zumachen, dass wir die Stürmer nicht so ins Spiel kommen lassen, dass wir es zwischen den Ketten eng machen, damit sie sich nicht aufdrehen und Tempo aufnehmen können", sagte Kimmich. Aber beim Stand von 0:1 gehe das halt nicht mehr.

Viele Flanken, keine Gefahr - wie in Hoffenheim

Um die Mitte zu verdichten, hatte Ancelotti auch zu einer spektakulären Maßnahme gegriffen. Er setzte Franck Ribery und Arjen Robben auf die Bank. Er wollte "mit James und Thomas zwischen den Linien" agieren und die Flügel mit den Außenverteidigern nutzen.

Das gelang auch phasenweise. Die Bayern hatten vor allem in der ersten Halbzeit gute Abschnitte und viel Platz. Am Ende hatten sie 36 Flanken geschlagen (Paris vier) und 18 Ecken erspielt (Paris eine). Auch in Sachen Torschüsse hatten die Münchner Vorteile (16:12, 7:5 aufs Tor), aber es blieb meistens bei Möglichkeiten in Ansätzen.

Die Statistik zeige schon, dass die Bayern viel probiert hätten, sagte Müller, "aber im Endeffekt sind wir nicht wirklich zu sehr guten Abschlusssituationen gekommen. Paris hat sich auf die individuelle Klasse vorne verlassen. Das hat dann auch gereicht." Ein Spiel mit Freiräumen auf den Außen und vielen Flanken hatten die Bayern vor nicht allzu langer Zeit erst in Hoffenheim verloren.

Ancelotti hat eine große Chance verpasst

In München werden die Diskussionen damit weitergehen. Ancelotti stand schon vor der Niederlage in der Kritik und hat sich mit seinen umstrittenen Personalentscheidungen (neben Robben und Ribery saß auch Hummels auf der Bank) selbst weiter unter Druck gesetzt.

Die Chance, mit einer guten Leistung und einem taktischen Winkelzug das Umfeld etwas zu beruhigen, hat Ancelotti verpasst. Stattdessen bleibt die ewige Suche nach Balance. Ancelotti und die Bayern brauchen jetzt am Sonntag in Berlin einen Sieg, um in der Länderspielpause nicht noch mehr Brandherde zu haben.

Am deutlichsten brachte es an diesem Abend Kimmich auf den Punkt: "Es ist nicht zu übersehen, dass sich was ändern muss."

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