Jerome Boateng beim FC Bayern einmal mehr in der Kritik: Ein schiefes Bild geraderücken

Von Dennis Melzer
Jerome Boateng stand nach seinen Fehlern gegen die Hertha in der Kritik.
© getty

Nach dem 0:2 des FC Bayern München gegen Hertha BSC konzentrierte sich die Berichterstattung auf die Fehler von Innenverteidiger Jerome Boateng. In der Champions League gegen Ajax Amsterdam (Dienstag, 21.00 Uhr live auf DAZN) bekommt er nun die Chance zur Wiedergutmachung. Dabei spielt Boateng bislang eine mehr als ordentliche Saison.

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Knapp zwei Jahre ist es her, als Jerome Boateng sich einer klubinternen und später in die Medien getragenen Kritik ausgesetzt sah. Es wäre in Boatengs Sinne, aber eben auch im Sinne des FC Bayern, dass der Weltmeister von 2014 "mal wieder back to Earth runterkommt", forderte FCB-Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge im November 2016, nachdem die Münchner kurz zuvor im Champions-League-Gruppenspiel in Rostow mit 2:3 verloren hatten.

In der Presse wurde der Innenverteidiger ebenfalls an den Pranger gestellt. Die Bild fragte infolgedessen beispielsweise: "Wie abgehoben ist Boateng wirklich?" Bereits ein Jahr zuvor war er vom Spiegel als "Sinnbild" einer 1:3-Pleite beim FC Porto ausgemacht worden.

Zwischen diesen beiden Phasen der Kalamität wurde er übrigens zu Deutschlands Fußballer des Jahres gewählt.

Jerome Boateng nach Fehlern gegen Hertha BSC in der Kritik

Oktober 2018: Im Bundesliga-Spiel bei Hertha BSC hatte Boateng zunächst mit einer gleichermaßen unnötigen wie schlecht getimten Grätsche im eigenen Strafraum einen Elfmeter verursacht, quasi ein falsch verstandenes "down-to-Earth-Kommen". Auch beim Treffer von Berlins Duda zum entscheidenden 0:2 aus Bayern-Sicht sah der 29-Jährige nicht sonderlich glücklich aus. Zudem gab er im Aufbauspiel keine gute Figur ab, spielte unzählige Diagonalbälle aus der eigenen Hälfte ins Nirwana.

Das Resultat des rundum misslungenen Auftritts war eine erneute Presse- und Expertenschelte. Eurosport-Experte Matthias Sammer mahnte: "Boateng darf da nicht runtergehen, das ist total unnötig. Da geht es um Erfahrung und Cleverness." Mit Blick aufs zweite Gegentor schob der ehemalige Bayern-Sportdirektor nach: "Manchmal fehlt ein Bruchteil von Reaktionsgeschwindigkeit und auch Wahrnehmung. Vom Timing und Tempo her ist nicht alles optimal, nur reden wir von Weltklasse und er muss das annehmen."

Sogar Trainer Niko Kovac ließ sich zu einer Kritik hinreißen, ohne Boateng namentlich zu nennen. Er erklärte: "Wir haben zwei Tore zugelassen, die eigentlich nicht passieren dürfen. Das erste per Elfmeter, eigentlich geht das nicht."

Jerome Boateng 2018: Eigentlich eine gute Saison

Auf das eine Spiel bezogen war es sicherlich nicht verwerflich, Boateng die schlechteste aller Schulnoten zu geben, wie die Bild es anschließend tat. Die Leistung allerdings auf die gesamte - zugegebenermaßen - noch junge Saison zu beziehen, Boateng sogar ein generelles Formtief zu attestieren, wäre allerdings vermessen, obwohl dahingehende Schwarzmalerei bei den rar gesäten Bayern-Niederlagen gerne reflexartig aufgegriffen wird.

Eigentlich legt Boateng, dessen Wechsel zu Paris Saint-Germain kurz vor Schließung des Transferfensters aus mehrerlei Gründen geplatzt war, nämlich eine durchaus solide Spielzeit hin. Mit einer Zweikampfbilanz von 69 Prozent liegt der Defensivmann sieben Prozent über seinem durchschnittlichen Wert für den Rekordmeister, außerdem rangiert er in ebenjener Kategorie hinter Javi Martinez auf Rang zwei und damit vor seinen Innenverteidiger-Konkurrenten Mats Hummels und Niklas Süle.

Auch was die Anzahl klärender Aktionen betrifft, hinkt der gebürtige Berliner mitnichten hinter seinen Teamkollegen her, bringen Süle, Hummels und Boateng mit jeweils 13 doch die meisten Rettungsaktionen des gesamten Bayern-Kaders auf den Stundenzettel.

Jerome Boateng wehrt sich im Interview gegen Kritiker

Da zwischen nackter Statistik und subjektiver Wahrnehmung oftmals eine große Diskrepanz besteht, dürften die Zahlen nicht jeden Kritiker überzeugen. Immer wieder ist zu vernehmen, dass Boateng seine besten Zeiten längst hinter sich habe, dass er sich - aufgrund seiner vielzähligen Hobbies wie Modelinien entwerfen, eigene Magazine ins Leben rufen und mit Rappern abhängen - doch endlich mal auf den Fußball konzentrieren solle. Spiele wie das in der Hauptstadt sind dementsprechend Wasser auf die Mühlen seiner Kritiker.

Um dahingehende Vorwürfe aus der Welt zu räumen, die ihn vor allem seit der eingangs erwähnten Rummenigge-Zurechtweisung auf Schritt und Tritt begleiten und immer mal wieder als Grund für etwaige schwache Auftritte herhalten müssen, wehrte sich Boateng zuletzt in einem denkwürdigen Interview mit der Süddeutschen Zeitung: "Was mich wahnsinnig gestört hat, waren Aussagen nach der WM. Das war fast schon lustig: Da hieß es, ich sei nicht voll fokussiert, weil ich beim Südkorea-Spiel auf der Tribüne Ohrringe und Sonnenbrille trage, wenn die Sonne scheint. Er ergänzte: "2014 habe ich auch eine Sonnenbrille und Ohrringe getragen, aber da habe ich nichts darüber gelesen."

"Und wenn behauptet wird, dass ich nicht voll auf den Fußball konzentriert sei: Das ist leicht gesagt, wenn man gar nicht weiß, wie mein Tag abläuft. Ich habe jedes Mal vor einer Bayern-Vorbereitung noch eine private Vorbereitung gemacht, ich glaube, ich kann von mir behaupten, dass ich top-professionell lebe", sagte der 75-fache Nationalspieler weiter.

Ungewohnt offene Worte des sonst etwas scheu beziehungsweise zurückhaltenden wirkenden Abwehrmannes. Wäre dies nicht der Fall, hätte Niko Kovac wahrscheinlich auch nicht um einen Verbleib Boatengs gekämpft, nachdem vor allem Rummenigge im Sommer recht offen kommuniziert hatte, ihn bei einem passenden Angebot ziehen lassen zu wollen.

Jerome Boateng: "Niko Kovac hat gesagt, dass er total auf mich setzt"

Kovac setzte sich am Ende durch. Auch aufgrund eines "guten Gesprächs" im Trainingslager, wie Boateng gegenüber der Süddeutschen verriet. " Er hat mir gesagt, dass er total auf mich setzt. Wenn ich fit bin, hat er gesagt, dann sei ich für ihn einer der besten Verteidiger weltweit, wenn nicht sogar der beste. Und er hat gesagt, dass es sein Ziel ist, dass ich wieder konstant fit bin und Leistungen zeigen kann wie in meinen besten Jahren."

In den besten Jahren glänzte Boateng neben seinen Defensivqualitäten besonders im Aufbauspiel, ließ einen punktgenauen Flugball nach dem anderen in die gegnerische Hälfte segeln. Eine Fähigkeit, die ihm derzeit tatsächlich etwas abgeht, nicht nur gegen die Hertha.

Trotzdem nahm sein Coach ihn im Vorfeld der Champions-League-Begegnung gegen Ajax in Schutz. Auf die Fehler Boatengs in dessen Heimatstadt angesprochen, entgegnete Kovac: "Ich weiß, dass man sich immer die letzte Aktion einprägt. Ich spule den Film gerne etwas weiter zurück und versuche zu sehen, wo die Fehler beginnen. Es wäre viel zu leicht zu sagen, dass es nur ein Spieler war."

Gegen den niederländischen Rekordmeister wird Boateng aller Voraussicht nach die Möglichkeit bekommen, das zuletzt schiefe Bild geradezurücken. Letztlich hat er bislang noch jede gefühlte oder reale Krise bewältigt - ob er nun dabei "down to Earth" war oder nicht.

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