Herbstdepression oder Burn-out?

Peter Bosz steht mit dem BVB derzeit gehörig unter Druck
© getty

Borussia Dortmund erlebt aktuell die größte Krise seit dem Absturz auf den letzten Tabellenplatz unter Jürgen Klopp in der Saison 2014/2015. Der Druck auf Trainer Peter Bosz ist schon vor den Duellen mit Tottenham Hotspur (20.45 Uhr im LIVETICKER) und dem Erzrivalen Schalke immens gewachsen. Für den BVB kommen die jüngsten Entwicklungen einem Desaster gleich.

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Im November vor drei Jahren war alles viel schlimmer, klar. Borussia Dortmund rutschte unter Meistermacher Jürgen Klopp im Laufe der Hinrunde 2014/2015 immer tiefer Richtung Tabellenkeller ab. Zur Winterpause machte nur ein mickriges Törchen den Unterschied, um in der Bundesliga nicht auf Rang 18 zu stehen.

Das Ende ist bekannt: Der BVB und Klopp rappelten sich noch ein letztes Mal gemeinsam auf, der Einzug in die Europa League und ins DFB-Pokalendspiel begradigten eine vollkommen verkorkste Saison.

Die Dortmunder Vereinsverantwortlichen um Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Sportdirektor Michael Zorc erhielten im Nachgang, aber auch schon während der damaligen Misere, viel Applaus für ihr Krisenmanagement. Der Klub sprach Klopp das Vertrauen aus, blieb ruhig und ließ sich nicht erschüttern. Einige nannten diese Handhabe in Tagen schneller Trainerentlassungen beispielgebend.

Außendarstellung des BVB erlitt erhebliche Kratzer

Im November 2017 ist Klopp in Dortmund längst Folklore, auch der Tabellenstand ist ein anderer (Platz fünf). Dennoch ist die derzeitige Phase der Borussia, die lediglich eines der letzten acht Pflichtspiele gewinnen konnte, leicht als größte Krisensituation seit dem Absturz unter Klopp identifizierbar.

Der Unterschied zu 2014 ist ein eher politischer. Während damals die Ära Klopp offiziell und dem gemeinsam Erreichten gebührend zu Ende ging, hat die Ära Peter Bosz erst vor fünf Monaten begonnen. Und zwar nach einer Periode, in der die Außendarstellung des BVB erhebliche Kratzer erlitten hatte.

Der Klub und Bosz-Vorgänger Thomas Tuchel lieferten sich im Laufe ihrer zweijährigen Zusammenarbeit zahlreiche Scharmützel, manche fanden gar nicht den Weg in die Öffentlichkeit. Spätestens jedoch nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus lief der Zwist auf einen grotesken Machtkampf heraus, dessen Ende vorhersehbar war.

Aufbruchstimmung mit Hilfe von Bosz

Nachdem Tuchel als Pokalsieger und Coach mit dem besten Punkteschnitt aller BVB-Trainer aufgrund unüberbrückbarer persönlicher Differenzen schließlich den Laufpass bekam, gab es für den Verein ein großes, übergeordnetes Ziel: Die Rückkehr zu einer guten Atmosphäre; Ruhe im Karton, nannte es Zorc.

Der BVB bemühte sich seit dem Sommer redlich, mit Hilfe der Personalie Bosz eine Art Aufbruchstimmung zu erzeugen. Das Geschehene sollte schnellstmöglich vergessen werden, denn auch die Verantwortlichen kamen nicht umhin, es als unwürdig für einen Klub der Dimension von Borussia Dortmund einzustufen.

Die Ruhe aber wollte bereits in der Sommerpause nicht so recht einkehren. Das lag zunächst am wochenlangen Wechseltheater um Pierre-Emerick Aubameyang und wurde letztlich vom plötzlichen Trainingsstreik seines Kumpels Ousmane Dembele getoppt.

Dass anschließend doch ein entscheidender Schritt in Richtung Entspannung gemacht werden konnte, war eng mit Boszs Arbeit verknüpft. Dem Niederländer gelang der beste Saisonstart, den man in Dortmund jemals sah. Das hing auch mit seiner ruhigen, sachlichen und menschlichen Art zusammen, wie man beim BVB nicht müde wurde zu betonen. Diesen Umschreibungen von Boszs Wirken wohnte je nach Lesart auch eine klare Abgrenzung zu Vorgänger Tuchel inne.

Bosz und der BVB müssen liefern - schnell

Seit dem 30. September, als die Westfalen in Augsburg ihren letzten Sieg in der Bundesliga feierten, hat sich die Situation aber nach und nach in einen veritablen Sturm verkehrt. Dortmund bekommt auf einmal nichts mehr auf die Kette. Und mit jedem weiteren sieglosen Spiel verstärkt sich der Eindruck, dass diese Mannschaft im Erlernen von Boszs riskanter Spielphilosophie nicht vorankommt.

Dazu gesellen sich die Aussicht auf das Ausscheiden in der Champions League sowie im Pokal und atmosphärische Spannungen wie die Suspendierung von Aubameyang . Auch der sofortige Abgang des langjährigen Transfer-Architekten Sven Mislintat ist eine schlechte Nachricht. Nach dem Neustart-Versuch im Sommer kommen die jüngsten Entwicklungen für den BVB in jeglicher Hinsicht einem Desaster gleich.

Die Vereinsführung hält sich mit öffentlichen Bewertungen zwar merklich zurück, der erste Anflug an Kritik wurde früh wirsch abgeschmettert. Mittlerweile ist das Wort Krise als Zustandsbeschreibung erlaubt, Bosz wurde bislang aber immer der Rücken gestärkt. Gelingt ihm am Ende der Turnaround wie einst Klopp, hätten die BVB-Oberen wieder alles richtig gemacht.

Genau hier liegt jetzt die Krux: Bosz und sein Team müssen liefern - und zwar schnell. Hat der bedenkliche Abwärtstrend auch nach den beiden Duellen am Dienstag gegen Tottenham (20.45 Uhr im LIVETICKER) sowie am Samstag gegen ein euphorisiertes Schalke Bestand, rücken die Entscheidungsträger Watzke und Zorc noch stärker in den Fokus - und Bosz in die Schusslinie.

Auch Watzke und Zorc benötigen die Trendwende

Rund um die Tuchel-Querelen nahmen der BVB Kontakt zu Lucien Favre von OGC Nizza auf, mit dem auch schnell eine Einigung erzielt werden konnte. Die Verhandlungen zogen sich hin und scheiterten letztlich, da die Franzosen keinen ihrer Wunschtrainer als Ersatz für den Ex-Gladbacher bekamen. Erst dann rückte Bosz ins Visier, der zuvor bereits Gespräche mit Bayer Leverkusen geführt hatte.

Somit verlief schon die Trainersuche nicht optimal für die Borussia, die Voraussetzungen wären jedoch mit jedem Trainer dieselben gewesen: Schlägt der Tuchel-Nachfolger nicht ein, muss er gar frühzeitig entlassen werden, ist das atmosphärische Wunschziel krachend gescheitert - und in Watzke und Zorc wären die Buhmänner bereits gefunden.

An den kleinen Schrauben drehen, um den Bock umzustoßen, da nun "natürlich zwei wichtige Spiele" auf den BVB zukämen: Dieses Vorgehen gaben Watzke und Zorc zu Beginn dieser Woche aus. Einer Woche, die über Boszs Zukunft entscheiden könnte und die mit der Mitgliederversammlung am Sonntag endet.

Auch die beiden Vereinsoberen benötigen eine rasche Trendwende. Gelingt diese nicht, verkäme das Jahr 2017 zu einem tristen Eintrag in der Vereinschronik - skurrilerweise trotz des ersten Titelgewinns seit fünf Jahren. Aus Frankreich ist derweil zu hören, dass Favre in Sachen Dortmund weiterhin nicht abgeneigt wäre.

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