Dilemma im Paradies

Brendan Rodgers verlor mit Celtic gegen Paris Saint-Germain zu Hause mit 0:5
© getty

Brendan Rodgers hat den Celtic FC auf ohnehin hohem nationalem Niveau noch einmal weiterentwickelt, Rekorde gebrochen und das schottische Triple gewonnen. Mit Blick auf seine Zukunft steht der Nordire jedoch vor einem heiklen Dilemma.

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Brendan Rodgers ist keiner, der es braucht, gebauchpinselt zu werden. Für gewöhnlich. In diesem Moment ist er dennoch angefressen.

"Ich habe das hier schon häufiger erlebt", raunzt der Nordire trotzig. Sein Team hat gewonnen. Auswärts in der Champions League. Doch ihm fehlt die Anerkennung: "Wenn wir gegen die Rangers gewinnen, liegt es nur daran, dass die Rangers nicht mehr sind, was sie einmal waren. Wenn wir gegen Anderlecht gewinnen, liegt es daran, dass sie nicht mehr sind, was sie einmal waren. Wenn wir Meister werden, liegt es daran, dass die schottische Liga nicht mehr ist, was sie einmal war. Das zieht sich durch, das ist nichts Neues."

Der Celtic FC hat die Antwort auf die bitte 0:5-Pleite gegen Paris Saint-Germain gegeben und einen 3:0-Erfolg beim RSC Anderlecht gefeiert. Netter Nebeneffekt: Der direkte Vergleich gegen die Belgier ist damit beinahe schon gewonnen und zumindest der Einzug in die Europa League wahrscheinlich.

Und doch muss sich Celtic-Trainer Brendan Rodgers damit auseinandersetzen, dass Anderlecht kein Maßstab sei. Ein Kritikpunkt, den Rodgers nicht so stehen lassen möchte: "Man darf nicht vergessen, dass Anderlecht im Vergleich zu uns das doppelte Budget hat. Dort so eine Performance mit so viel Selbstvertrauen zu zeigen, ist großartig."

Celtics nächster Schritt in der Entwicklung

Tatsächlich war die Partie ein nächster Schritt in der Entwicklung des schottischen Serienmeisters auf internationalem Boden. Hatte Celtic in der Anfangsphase noch mit technischen Fehlern zu kämpfen, dominierte die Rodgers-Elf Anderlecht danach über weite Strecken. Mit hohem Engagement, aber auch auf spielerischer Ebene.

Seitdem Rodgers die Bhoys im Sommer 2016 als Nachfolger von Ronny Deila übernahm, entwickelten sie sich auf - zumindest national - hohem Niveau noch einmal weiter. Die "Rodgers Revolution" - ein Kunstbegriff der schottischen Medien - trug von Beginn an Früchte.

Dabei überzeugte der 44-Jährige weniger mit der Tatsache, dass er den Meistertitel in der schottischen Premiership gewann. Dies gelang zum sechsten Mal in Folge. Seit dem Zwangsabstieg der Rangers im Jahr 2012 ist kein echter Konkurrent mehr vorhanden. Aberdeen leistet zwar beachtliche Arbeit, kann Celtic jedoch nicht das Wasser reichen.

Celtic bricht Rekorde

Vielmehr beeindruckte, wie Celtic unter Rodgers auftrat und Rekord um Rekord brach. So machte Rodgers sein Team mit 30 Punkten Vorsprung zum ersten ungeschlagenen schottischen Meister seit 1899. Als erst dritter Trainer führte er Celtic zum nationalen Triple - ohne eine einzige Niederlage in den schottischen Wettbewerben. Darüber hinaus feierten die Grün-Weißen Ende April im Old Firm gegen die Rangers beim 5:1 den höchsten Auswärtssieg im Ibrox seit 1915.

Die Ehe zwischen Rodgers und dem Celtic Football Club scheint zu funktionieren. Im Sommer verlängerte er seinen Vertrag um vier Jahre.

Für den Nordiren ging mit dem Trainerjob in Parkhead ein Traum in Erfüllung. Im Herbst erscheint seine Autobiografie mit dem Titel "Road to Paradise". Paradise ist der Spitzname für den Celtic Park. In aller Ausführlichkeit beschreibt er seinen Werdegang, "von einem vielversprechenden jungen Talent, das in Carnlough aufwuchs und davon träumte, eines Tages für Celtic zu spielen, zu seiner Profi-Karriere - als Spieler, als Trainer und nun als einer der begehrtesten Trainer auf der Insel."

Rodgers fühlt sich in Glasgow wohl

Rodgers lebt in Lennoxtown, vor den Toren Glasgows. "Wir fühlen uns dort außerordentlich wohl", beschreibt er. "Ich kann jederzeit in die Stadt gehen, aber innerhalb kürzester Zeit bin ich auch am Loch Lomond oder in Gleneagles." Es gibt schlechtere Orte, um das Leben zu genießen.

Ob in den grauen Straßen des Stadtzentrums oder auf den Grünflächen der Außenbezirke, der Nordire fühlt sich als Teil der Arbeiterstadt.

Selbst die Fans des großen Rivalen behandeln ihn respektvoll. An eine Anekdote hat er dabei besondere Erinnerungen: "Ich stand im Clyde Tunnel im Stau. Ich habe einen Mann im blauen Shirt auf mich zukommen sehen und dachte nur: 'Jetzt geht es los'. Aber er sagte: 'Ich möchte Ihnen dafür danken, in den schottischen Fußball gekommen zu sein. Ich bin Rangers-Fan, aber sie bringen viel frischen Wind in die Liga.'"

Mit seiner Strahlkraft bringt der Nordire nicht nur "frischen Wind" in die Liga, er schaffte es auch, den heiß umworbenen Moussa Dembele vom Bleiben zu überzeugen. Außerdem fädelte er ein weiteres Leihgeschäft von Manchester Citys begabtem Flügelstürmer Patrick Roberts ein.

Rodgers' Idee von "Tod durch Fußball"

Neben der - zugegebenermaßen beinahe kitschigen - Verbindung zu Stadt und Verein funktioniert Rodgers bei Celtic auch sportlich.

Der 44-Jährige hat klare Vorstellungen, wie seine Mannschaften auftreten sollen. Er steht für ballbesitzorientierten, dominanten Fußball mit aggressivem Gegenpressing. Bei Ballverlust soll sein Team sofort auf den Gegner schieben, um ihn schnellstmöglich wieder zu erobern. Die Rechnung dabei: "Wenn du den Ball 70 Prozent der Zeit hast, ist das der fußballerische Tod für das gegnerische Team. Es ist Tod durch Fußball, du saugst ihnen dadurch das Leben aus."

Seine Ideen implementiert Rodgers durch viele Einzelgespräche und ein enges Verhältnis zu den Spielern. Steven Gerrard sagte einst über ihn: "Ich war beeindruckt von seinen Übungseinheiten, seinem taktischen Verständnis und seiner Reife. Er weiß genau, dass jeder in der Kabine einen anderen Charakter hat und seine individuelle Behandlung der Spieler ist die beste, die ich je erlebt habe."

Rodgers kann mit seinem menschlichen und sportlichen Ansatz elektrisieren. In Glasgow gelingt das bislang.

Kritik nach Aus in Liverpool

Doch es ist ein Ritt auf der Rasierklinge: Nach seiner Entlassung in Liverpool machten sich Fans und Medien über die teilweise prätentiösen Aussagen lustig. Der Independent veröffentlichte eine Liste der "peinlichsten" Rodgers-Sprüche. Eine Kostprobe? "Du kannst einige Tage ohne Wasser überleben, aber du kannst keine Sekunde ohne Hoffnung überleben." Der Grad zwischen Motivations- und leerem Kalenderspruch ist schmal.

Die Umstände seiner Entlassung in Liverpool verfolgen Rodgers noch bis in die Gegenwart. Seinerzeit musste er den Trainerstuhl bei den Reds räumen, nachdem er sie in der Saison 2013/2014 beinahe zum Titel geführt und 2014/2015 immerhin noch auf Platz sechs geführt hatte, aber zum Start der folgenden Spielzeit nur 12 Punkte aus acht Spielen holte. Einen Zähler weniger, als Jürgen Klopp nun zum gleichen Zeitpunkt auf dem Konto hat.

Rodgers veranlasst diese Erfahrung dazu zu sagen: "Ich bin nicht sicher in meinem Job. Nicht im modernen Fußball. Nicht einmal hier."

Dass der Nordire in seiner ersten Saison bei Celtic national schon alle Bäume ausgerissen hat, sorgt für ein Dilemma. Zwar ist er bei seinem Herzensverein, fühlt sich menschlich wohl, bekommt die Anerkennung der Öffentlichkeit und ist der große Star der schottischen Liga.

Celtic stößt an natürliche Grenzen

Auf der anderen Seite hat er Celtics wohl schon weitgehend ausgeschöpft. Aufgrund der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit der schottischen Premiership und des damit verbundenen Budgets hat der Klub international natürliche Grenzen, stößt an eine gläserne Decke. Dass Rodgers die Bhoys zweimal in Serie in die Gruppenphase der Champions League führte, ist bereits als Erfolg zu verbuchen. Wie groß der Graben in der Zwei-Klassen-Gesellschaft Königsklasse jedoch ist, erfuhr Celtic beim 0:5 gegen PSG schmerzhaft. Und auch gegen den FC Bayern (20.45 im LIVETICKER) sind den Schotten bestenfalls Außenseiterchancen einzuräumen.

Zwar predigt Rodgers den Weg der kleinen Schritte, sein Leitsatz ist "Per aspera ad astra" (Über Schwierigkeiten zu den Sternen). Seinen Vierjahresvertrag zu erfüllen, stellt die Loyalität zu seinem Herzensklub jedoch auf die Probe.

Schließlich hat er sich durch seine erfolgreiche Arbeit bei Celtic selbst ins Schaufenster gestellt und wird bei zahlreichen Premier-League-Klubs heiß gehandelt. Unter anderem gilt er als möglicher Nachfolger von Antonio Conte bei Chelsea. Ein Verein, zu dem er ebenfalls eine Bindung hat, immerhin arbeitete er dort vier Jahre im Nachwuchs- und Reservebereich.

Noch lässt ihn das kolportierte Interesse aus der Premier League nach eigener Aussage kalt. Denn er braucht es für gewöhnlich nicht, gebauchpinselt zu werden. Doch stellt sich die Frage, wie lange die Liebe zu Celtic gegen das Streben nach dem Durchstoßen der Gläsernen Decke siegt. Ein Dilemma im Paradies.

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