"Mbappe spricht wie ein 30-Jähriger"

Kylian Mbappe gehört zu den größten Talenten des AC Monaco
© getty

Am Dienstagabend empfängt Borussia Dortmund den AS Monaco zum Hinspiel im Viertelfinale der Champions League (20.45 Uhr im LIVETICKER). Die Mannschaft aus dem französischen Fürstentum wird in dieser Saison vor allem für seine beeindruckende Offensivabteilung gefeiert. Im Interview spricht Monaco-Experte Yann Pecheral über die Arbeit von Trainer Leonardo Jardim, Stärken und Schwächen des Teams, Shootingstar Kylian Mbappe und den mysteriösen Klubbesitzer Dmitri Rybolowlew.

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SPOX: Herr Pecheral, der AS Monaco hat in der Ligue 1 schon 88 Tore geschossen. Das ist beinahe der Wert der gesamten beiden vergangenen Spielzeiten zusammengenommen. Was sind die Gründe dafür?

Yann Pecheral: Die Mannschaft besitzt ein perfektes Gleichgewicht, die Schwachpunkte der vorherigen Spielzeiten wurden ausgemerzt. Die Spieler sind gereift, gewachsen und entwickeln sich wie beispielsweise Thomas Lemar und Bernardo Silva immer weiter. Hinzu kommt die Wiedergeburt Falcaos, der nach seinem Kreuzbandriss zwar nicht mehr derselbe Spieler ist wie früher, doch er verleiht seinen Mitspielern Zutrauen und ist vor dem Kasten immer noch ein großer Torjäger. Kylian Mbappe bringt vor allem Geschwindigkeit, Frische und sein riesiges Talent ein. Am bemerkenswertesten ist für mich jedoch, dass jeder in dieser Mannschaft Tore schießt. Gabriel Boschilia und Guido Carrillo zum Beispiel waren vor ihren Verletzungen ständig Bankspieler, haben aber dennoch sechs beziehungsweise sieben Saisontore auf dem Konto. Auch das Zusammengehörigkeitsgefühl ist deutlich besser als zuvor, die Grüppchenbildung geringer - und das spürt man in ihrem Spiel.

SPOX: Was hat Trainer Leonardo Jardim verändert?

Pecheral: Jardim hat taktisch immer einige Einfälle, in dieser Saison sind sie aber äußerst selten geworden. Die Umstellung auf das 4-4-2 war ein Erfolg, an dem nun nicht mehr gerüttelt wird. Die Mannschaft wurde für dieses System aufgebaut, gerade die Offensivspieler sind dafür ideal geeignet. Die Art und Weise, wie Jardim den Fußball sieht, hat sich aber nicht stark verändert. Es wäre daher ein Fehler zu glauben, die aktuelle Saison sei erfolgreicher, weil Jardim irgendetwas großartig verändert habe.

SPOX: Worin besteht seine größte Stärke?

Pecheral: In seiner Anpassungsfähigkeit. Vor seiner ersten Spielzeit hatte man ihm Neuzugänge und eine große Mannschaft versprochen, dann aber waren Falcao und James Rodriguez plötzlich weg. Er hat sich darüber nie beschwert. Er musste dann mit einer schwächeren Mannschaft arbeiten und hat viele junge Spieler weiterentwickelt.

SPOX: Worauf fußen seine Spielprinzipien?

Pecheral: Besonders auf dem Pressing. Er möchte, dass seine Mannschaften sehr hoch stehen. Das hat anfangs in Monaco allerdings nicht so recht funktioniert. Also hat er mit den Spielern gesprochen und der Truppe ein solides Defensivkonzept eingeimpft - und das hat geklappt. Er hätte schon damals gerne offensiver spielen lassen, hatte dazu aber nicht die nötigen Mittel. Im Vorjahr war es ähnlich, allerdings hatten einige Neuzugänge Probleme bei der Anpassung und am letzten Transfertag ist ihm auch noch sein bester Stürmer Anthony Martial weggeschnappt worden. Doch auch da hat er sich nicht beschwert und ist lautlos mit der Situation umgegangen. In dieser Spielzeit ist der Kader nun komplett. Jetzt kann Jardim auch so spielen, wie er es sich wünscht. Er hat in Benjamin Mendy und Djibril Sidibe neue Außenverteidiger geholt, die stark aufspielen und offensiv wie defensiv ein enormes Programm abspulen. Kamil Glik sichert die gesamte Defensive ab. Ich sehe kaum Schwächen im aktuellen Team.

SPOX: Welchem Trainer kommt Jardim für Ihre Begriffe am nächsten?

Pecheral: Er ähnelt Jürgen Klopp: Viel Bewegung, ausgerichtet in die Offensive. Er stützt sich aber nicht nur auf die Physis der Spieler, sondern lässt den Technikern Platz für ihre Kreativität. Bernardo Silva oder Lemar arbeiten auf den Flügeln viel fürs Team, sind zugleich aber die Eckpfeiler des offensiven Konstrukts. Jardim hat zudem Grundsätze in Sachen Trainingsarbeit, die zumindest in Frankreich für Erstaunen gesorgt haben.

SPOX: Welche sind das?

Pecheral: Keine körperliche Betätigung ohne Ball und niemals lässt er um das Spielfeld laufen - zwei Runden zum Aufwärmen, das war's. Alles wird mit dem Ball gemacht. Auch die Spieler hat das anfangs erstaunt, doch sie haben Gefallen daran gefunden - es funktioniert ja schließlich.

SPOX: Wie würden Sie ihn als Typ beschreiben?

Pecheral: Er ist ziemlich zurückhaltend, um nicht zu sagen scheu, wenn man sich ihm erstmals annähert. Doch mit der Zeit kann man als Journalist eine sehr gute Beziehung zu ihm aufbauen. Er ist kultiviert und belesen sowie privat ein Spaßvogel. Auf Pressekonferenzen bleibt er aber verschlossen und hat sich unter Kontrolle. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass es von ihm niemals eine aufsehenerregende Aussage vor der Presse geben wird. Sein Image in Frankreich ist allerdings zweifelhaft. Er wird häufig wegen seines Akzents verspottet, dennoch bemüht er sich, französisch zu sprechen. Ungeachtet der Resultate wurden seine ersten beiden Spielzeiten sehr kritisiert. Man warf ihm vor, dass das Spiel zu wenig spektakulär sei. Die aktuelle Saison ist nun seine süße Revanche.

SPOX: Wie geht er mit seinen Spielern um?

Pecheral: Er kann bisweilen einen sehr engen Draht zu ihnen pflegen, um sie für seine Ideen zu begeistern. In dieser Saison hat ein Junge wie Benjamin Mendy dank ihm einen großen Schritt gemacht, er schlägt viele gute Flanken. Jardim zögert nicht, die Spieler auch während eines Spiels zu sanktionieren, wenn er nicht zufrieden ist. Er hat die Leute hier schon nach 25 Minuten vom Feld geholt.

SPOX: Worin bestehen die größten Stärken der Mannschaft, wenn man die effiziente Offensive mal außen vor lässt?

Pecheral: Die größte Stärke dieser Mannschaft ist es, eigentlich kaum Schwächen zu haben. In der letzten Saison war die zentrale Achse überaltert, die Außen schwach, es gab keinen Torjäger. Nun wurde alles getan, um all diese Problemstellen zu beheben. Zum ersten Mal in Jardims Amtszeit hat kein Spieler den Verein in den letzten Tagen des Sommertransferfensters verlassen. Stattdessen war die Einkaufspolitik kohärent und brachte große Stabilität. Dabei muss die Arbeit des ehemaligen technischen Direktors Luis Campos gewürdigt werden, der aber im vergangenen Herbst zu OSC Lille ging. Campos hat praktisch alle Spieler der aktuellen Mannschaft geholt.

SPOX: Was wäre denn eine der seltenen Schwächen?

Pecheral: Die Bank. Das hat man nicht zuletzt in der Champions League gegen Manchester City gesehen, als aufgrund von größeren Verletzungsproblemen der 20-jährige Irvin Cardona der einzige noch verfügbare Mittelstürmer im Kader war. Dazu ist Monaco in Europa die Mannschaft mit den meisten Spielen, bereits 51 Pflichtspiele wurden absolviert. Das ist ein großes Problem für den nicht besonders tiefen Kader. Jardim lässt zwar rotieren, doch das Programm besteht aus Ligue 1, Coupe de France, Champions League und bis zuletzt noch dem Coupe de la Ligue - die Spiele mit den Nationalmannschaften nicht mit eingerechnet. In diesem dichten Rhythmus ist das kaum durchzustehen. Es gab zwischendurch einige Spiele wie in Nizza oder Toulouse, in denen die Mannschaft überrannt wurde, da hat kollektiv nichts funktioniert. Das war selten, aber es kam vor. Sobald die Außen blockiert und die beiden Stürmer früh attackiert werden, ist der Mannschaft enorm der Spielfluss genommen.

SPOX: Mbappe ist in aller Munde. Zuvor spielte er in Bondy, einem Vorort von Paris. Wie ist Monaco auf ihn aufmerksam geworden?

Pecheral: Er wurde im Institut National du Football in Clairefontaine vor den Toren von Paris ausgebildet, wo er sehr schnell für Aufmerksamkeit sorgte und umworben war. Seit er zehn, elf Jahre alt war, wollten ihn viele französische Klubs wie Paris oder Monaco holen. Caen hat ihn drei Jahre lang jeden Monat beobachtet. Er war ein sofort entdecktes Phänomen. Jires Kembo-Ekoko, ehemaliger Spieler von Rennes und heute bei Al Ain Club in den Vereinigten Arabischen Emirate, ist übrigens sein Halbbruder.