Wenn es nicht thiagot, soll es müllern

Thomas Müller (l.) könnte von der Verletzung Thiagos profitieren
© getty

Thiago Alcantara ist aufgrund einer Muskelverletzung im rechten Oberschenkel aus dem Trainingslager des FC Bayern in Doha abgereist. Die Schwere der Blessur ist unklar, zum Rückrundenstart wird der Spanier dem Rekordmeister jedoch fehlen. Was nach seiner stärksten Halbserie im Bayern-Dress bitter ist, bietet einem Teamkollegen die Möglichkeit, sich freizuschwimmen.

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Doha, sportlich perfekte Bedingungen für die Vorbereitung auf die Rückrunde, sechste Einheit des FC Bayern im Wintertrainingslager, Spielform Zehn gegen Zehn. Thiago führt den Ball und will an Franck Ribery vorbeigehen. Der Franzose zwingt seinen Teamkollegen in den Zweikampf und stochert nach dem Ball.

Sofort greift sich Thiago an den rechten, hinteren Oberschenkel. Kurzes Gespräch mit Mannschaftsarzt Volker Braun, dann geht es via Golfcart in Richtung Mannschaftshotel.

Kurz danach ist es Gewissheit. Der FC Bayern teilt am Samstagnachmittag mitteleuropäischer Zeit mit: "Pech für Thiago! Der Mittelfeldspieler erlitt am Samstagvormittag im Training in Doha eine Muskelverletzung im rechten Oberschenkel, wegen der er die Einheit nach einer halben Stunde abbrechen musste. Nach einer anschließenden Untersuchung steht fest, dass für den 25-Jährigen somit das Trainingslager vorzeitig beendet ist."

Muskelfaserriss? Oder doch schlimmer?

Muskelverletzung im rechten Oberschenkel ist nicht die konkreteste Angabe. Mittlerweile ist es beim FCB üblich, sich mit genauen Diagnosen zurückzuhalten. Medienberichten zufolge soll es sich bei Thiago um einen Muskelfaserriss handeln. Andere spekulieren sogar über einen Muskelbündelriss. Die kolportierte Ausfallzeit variiert.

"Das kann leider passieren", sagte Trainer Carlo Ancelotti am Sonntag. Er hoffe, dass Thiago nicht allzu lange ausfalle, "drei Wochen vielleicht."

Um welche Verletzung es sich genaue handele, wollte auch der Italiener nicht bestätigen: "Das checken wir, wenn wir in München sind. Ich hoffe, er wird gegen Arsenal spielen können."

Auftakt passe

Sollte es sich tatsächlich um einen Faserriss handeln, ist die Drei-Wochen-Fernprognose des Coaches wohl optimistisch. Nach Jerome Boateng wird also der zweite Leistungsträger den Auftakt in die Rückrunde verpassen.

Und dabei ist die Schlagzahl direkt hoch. Das besagte Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League gegen Arsenal findet am 15. Februar statt. Davor spielen die Münchner in der Bundesliga bereits gegen Freiburg (A), Werder Bremen (A), Schalke (H) und Ingolstadt (A), dazu kommt das Pokal-Achtelfinale gegen den VfL Wolfsburg.

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Doch was bedeutet der Ausfall Thiagos für den Branchenprimus tatsächlich?

Die vergangene Hinrunde war wohl die beste Halbserie der Nummer 6, seitdem er 2013 zu den Bayern gewechselt ist. Und das in Saison eins nach dem Abgang seines großen Förderers Pep Guardiola.

Ballmagnet mit steigender Effizienz

Thiago dirigierte das Spiel und überzeugte mit seiner Ballsicherheit. Mit 1733 hatte er mit großem Abstand die meisten Ballaktionen aller Bundesliga-Spieler (Julian Weigl auf Platz zwei kommt auf 1335).

Darüber hinaus machte der 25-Jährige auch in puncto Effizienz noch einmal einen deutlichen Schritt nach vorne. Nach 15 Saisonspielen bringt er es bereits auf sechs Torbeteiligungen (drei Tore, drei Assists) - schon jetzt persönlicher Bestwert, in der Vorsaison waren es in 27 Einsätzen ebenfalls sechs (zwei Tore, vier Vorlagen).

Stark als Achter, stark als Zehner

Schon im Ancelotti'schen 4-3-3, das die Bayern über weite Strecken der Hinrunde spielten, war Thiago eine der großen Konstanten. Als Achter, der das Auge für den freien Raum hat und sich traut, den technisch anspruchsvollen, vertikalen Risikopass einem sachlichen Querpass vorzuziehen. Die Lust auf das "schöne Fußballspiel" wurde Thiago in der Vergangenheit häufig als Arroganz ausgelegt, in dieser Saison stabilisierten sich die Leistungen und das Lob überwog.

Als Ancelotti das System nach der Ergebnis-Delle im Herbst auf ein 4-2-3-1 umstellte, änderte sich Thiagos Rolle. In den wichtigen Spielen gegen Atletico und Leipzig spielte der Spanier auf der Zehn.

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Als freie Radikale hinter Robert Lewandowski überragte er besonders im Duell mit RB: Er schob immer wieder mit in den Sechzehner, war an zwei der drei Treffer direkt beteiligt (ein Tor, eine Vorlage), hatte die meisten Ballaktionen (120), führte die meisten Zweikämpfe (30, 71 Prozent davon gewonnen) und spielte die meisten Pässe in der gegnerischen Hälfte (63).

In dieser Form ist der Dirigent nicht aus dem Bayern-Orchester wegzudenken. Mit Blick auf den Rückrundenstart muss er nach der im Trainingslager erlittenen Verletzung nun allerdings weggedacht werden.

Chance für Müller

So bitter der Ausfall aus sportlicher Sicht für die Bayern ist, so groß ist die Chance, die sich dadurch ergibt. Allen voran die Chance für Thomas Müller.

Dieser hat nämlich - gegenläufig zu Thiago - seine enttäuschendste Halbserie im Bayern-Dress hinter sich. Die magere Ausbeute: ein Bundesliga-Törchen in der Hinrunde und zahlreiche unglückliche Vorstellungen.

Nach der Systemumstellung sah es für den deutschen Nationalspieler kurz danach aus, als könne er sich auf seiner Lieblingsposition als zentraler Mann hinter, neben und um Lewandowski in Form schießen. Zuletzt setzte Ancelotti jedoch mit Thiago eher auf den technischen Zehner als auf den anarchischen Raumdeuter.

Absurder Vergleich

Es klingt absurd, schließlich könnten zwei Spielertypen kaum unterschiedlicher sein als Thiago und Müller, doch die beiden konkurrierten zuletzt um die Position.

Topspiele sind der beste Indikator, wessen Nase ein Trainer in solch einem Konkurrenzkampf vorne sieht. Das Spiel gegen RB war ein Topspiel. Thiago spielte auf der Zehn, Müller saß 90 Minuten auf der Bank.

Auch in Doha waren die beiden Besetzungsalternativen für die Zehnerrolle ein Thema. Robert Lewandowski sagte dazu: "Ich kann mit beiden gut spielen. Vielleicht wäre es am besten, wenn Thiago auf der Zehn beginnt und später Müller kommt."

Müller bricht Lanze für 4-2-3-1

Sollte Ancelotti zum Rückrundenstart auf das 4-2-3-1 setzen, ist Müller nun auf der zentralen Position gesetzt und hat die Möglichkeit, sich freizuschwimmen und endlich wieder zu seiner Torgefährlichkeit zu finden. Wenn es vorerst nicht thiagot, könnte es bald wieder müllern.

Der Nationalstürmer selbst brach zumindest eine Lanze für das System: "Ich habe schon das Gefühl, dass wir uns mit dem anderen System einen Tick wohler fühlen, vor allem, was die Offensive betrifft, weil wir auch Spaß damit haben", sagte Müller in Katar.

Doch auch andere Spieler könnten in Abwesenheit von Thiago in die Lücke stoßen. Joshua Kimmich und Renato Sanches wären in den Spielen, in denen Ancelotti sein eigentlich präferiertes 4-3-3 aufbietet, die ersten Alternativen auf der Achterposition.

Personeller Notstand bricht bei den Münchnern durch die Verletzung des 25-Jährigen nicht aus. Auf einen Thiago in Hinrunden-Form möchte Ancelotti dennoch nur ungerne verzichten. Spätestens gegen Arsenal soll der Dirigent seinen Taktstock wieder schwingen.

Thiago im Steckbrief

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