Axel Witsel vom BVB im Interview: "Ich habe oft geweint, weil mein Vater so hart zu mir war"

Von David Binder
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© getty

Eine Finca auf Ibiza, Sonnenschein, 31 Grad. In entspannter Atmosphäre empfängt BVB-Mittelfeldspieler Axel Witsel SPOX und DAZN während seines Sommerurlaubs zum ausführlichen Karriere-Interview. Der 30-Jährige macht einen ruhigen, höflichen Eindruck, hat seine Frau, Kinder und Cousins um sich geschart.

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Witsel lebte in Belgien, Portugal, Russland und China, spielte für Standard Lüttich, Benfica, Zenit und Tianjin Quanjian. Inzwischen ist er für Borussia Dortmund in der Bundesliga aktiv.

Ein Gespräch über Witsels fußballerische Anfänge, seinen strengen Vater, sein französisches Idol und ein prägendes Erlebnis in einem chinesischen Krankenhaus. Außerdem: Wie er beinahe zu Real Madrid und später zu Juventus gewechselt wäre, wie er beim BVB landete und warum Geld nicht alles ist.

Herr Witsel, welche Rolle hat Ihr Vater in Ihrer fußballerischen Entwicklung gespielt?

Axel Witsel: Er hat früher auch Fußball gespielt, zwar nicht als Profi, aber immerhin in der vierten oder fünften Liga. Vor allem war er aber in der ersten belgischen Liga beim Futsal aktiv. Ich habe ihm damals immer bei seinen Spielen zugesehen und selbst Futsal gespielt. Eigentlich wollte ich das auch machen, weil ich so sein wollte wie mein Vater. Er hat aber gesagt: 'Nein, im Fußball hast du eine bessere Zukunft.' Und hatte damit natürlich Recht.

Fußball hat also schon in Ihrer Kindheit eine große Rolle gespielt?

Witsel: Ja, ich bin quasi mit dem Fußball geboren worden. Als Kind habe ich immer mit Nacer Chadli auf der Straße gespielt, meinem besten Freund. Wir waren ständig zusammen und haben später auch zusammen bei Standard Lüttich gespielt. Am einen Tag haben meine Eltern Nacer zum Training mitgenommen, am nächsten Tag wurden wir von seinen Eltern abgeholt.

Axel Witsel über seine Jugend: "Es war eine harte Zeit"

Haben Sie in Ihrer Jugend Dinge vermisst?

Witsel: Im Alter von 16, 17 Jahren ist es natürlich nicht so einfach. Du kannst eben nicht bei allen Dingen mitmachen, die deine Freunde so machen. Ich war in einer Fußballschule, wir hatten von acht bis zehn Uhr Unterricht, danach fuhr ein Bus zur Trainingsakademie. Von 10.30 bis zwölf Uhr war Training, dann ging es von 13 bis 16 Uhr wieder zurück in die Schule und wir hatten von 17 bis 18.30 Uhr noch einmal Training. Danach hast du geduscht, bist nach Hause gefahren, hast etwas gegessen und dann war es auch schon 20 Uhr und du musstest noch etwas für die Schule tun. Danach ging es ins Bett. Es war eine harte, aber schöne Zeit.

Wurden Sie von Ihren Eltern angespornt?

Witsel: Mein Vater war sehr streng mit mir. Ihm war es wichtig, dass ich einen Abschluss mache, also habe ich einen in Buchhaltung gemacht. Auf der Fahrt von der Trainingsakademie nach Hause habe ich oft geweint, weil mein Vater so hart zu mir war. Meine Mutter war ganz anders, sie hat mir Essen gemacht und sich immer um mich gekümmert. Rückblickend war es aber sicherlich gut, dass mein Vater so zu mir war. Mittlerweile ist unser Verhältnis anders, wir reden als Erwachsene miteinander. Wenn ich schlecht gespielt habe, weiß ich das selbst. Das muss er mir nicht mehr sagen.

Axel Witsel: "Ich war nicht unbedingt geplant"

Ihr Vater stammt aus Martinique, Ihre Mutter aus Belgien. Wie haben Sie diese Wurzeln beeinflusst?

Witsel: Mein Vater hat nicht lange auf Martinique gelebt. Er kam im Alter von neun Jahren nach Belgien. Zuvor musste er schon als Fünf- oder Sechsjähriger auf Martinique arbeiten. Dadurch hat er Zeit in der Schule verpasst, die ihm in Belgien später natürlich fehlte. Irgendwann traf er meine Mutter - und ich war nicht unbedingt geplant. Meine Mutter war 20, mein Vater 21, beide gingen noch zur Schule und auf einmal war meine Mutter schwanger. Meine Eltern hatten damals keinen Job, sie haben bei meinem Großvater gelebt. Mein Vater musste dann die Schule abbrechen, um Arbeit zu finden, und begann auf dem Bau. Ich bin unheimlich stolz auf beide, gerade wenn man sieht, wo mein Vater herkommt und wo er jetzt ist: in der belgischen Politik als Abgeordneter.

Ihr Vater ist Fan der französischen Nationalmannschaft. Warum?

Witsel: Weil er aus Martinique stammt, dort hat er immer die französische Nationalmannschaft verfolgt. Als ich klein war, haben wir die Spiele des Teams von 1998 um Zinedine Zidane geschaut. Zidane ist mein Idol. Ich hatte sogar ein Trikot der Franzosen. Mein Vater mag Frankreich immer noch, aber seit der letzten Weltmeisterschaft vielleicht nicht mehr ganz so sehr. (lacht)

"Wenn die Fans zum ersten Mal deinen Namen brüllen ..."

Sie haben im Alter von 17 Jahren für Standard Lüttich in der ersten belgischen Liga debütiert. Wie erinnern Sie sich daran?

Witsel: Das war beim 2:1 gegen Brüssel, ich wurde in der letzten Minute eingewechselt. Besser erinnere ich mich an das Spiel gegen Lierse, da habe ich zum ersten Mal in der Startelf gestanden und gut gespielt. In der Nacht zuvor konnte ich kaum schlafen. Ich war zu Hause bei meinen Eltern und habe mir nur gedacht: Morgen muss ich da sein.

Wie hat es sich auf dem Spielfeld angefühlt?

Witsel: Es war komplett verrückt. Lüttich ist meine Heimat, dort habe ich meine Familie und meine Freunde. Ich wurde in Lüttich geboren, habe ab meinem neunten Lebensjahr bei Standard gespielt. Wenn die Fans dann zum ersten Mal deinen Namen brüllen, ist das ein unbeschreibliches Gefühl.

Axel Witsel über seinen großen Traum vom Lüttich-Stadion

Haben Sie eine besonders prägende Erinnerung an diese Zeit?

Witsel: Als ich zehn Jahre alt war, saß ich bei meinem Vater im Auto, wir waren auf dem Weg zum Training. Im Rückspiegel konnten wir das Stadion von Standard sehen und ich habe zu ihm gesagt: 'Irgendwann werde ich in diesem Stadion spielen. Das ist mein Traum.' Mein Vater meinte, dass ich immer hart arbeiten und an mich glauben müsse, um meinen Traum zu verwirklichen. Letztlich hat es funktioniert, ich hatte sechs wundervolle Jahre in Lüttich.

2011 wechselten Sie zu Benfica nach Lissabon.

Witsel: Das war eine ungewohnte Situation, weil es mein erster Transfer war. Ich hatte in Lüttich schon allein in einem Apartment gewohnt. Ich wollte ein eigenständiges und unabhängiges Leben führen, auch wenn mein Vater oft anderer Meinung war. Dennoch war es schwierig, Lüttich zu verlassen. Als ich mich von meinen Freunden und meiner Familie verabschiedet habe, sind Tränen geflossen.

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