"So viel Scheiß kann ich gar nicht erzählt haben"

Hans Meyer begann seine Trainerkarriere im Jahr 1971 bei Carl Zeiss Jena
© getty

Hans Meyer war fast 40 Jahre lang als Trainer tätig, mittlerweile ist der 74-Jährige Präsidiumsmitglied im Vorstand von Borussia Mönchengladbach. Im Interview spricht Meyer unter anderem über das Dasein als Rentner, seinen beliebten Sarkasmus und kommerzkritische Fußballfans.

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SPOX: Herr Meyer, zwischen 2005 und 2008 trainierten Sie den 1. FC Nürnberg, wurden dort 2007 DFB-Pokalsieger und wohnen noch immer in der Stadt. Wieso sind Sie dort mittlerweile sesshaft geworden?

Hans Meyer: In Nürnberg wurde meine Trainerlaufbahn 2008 schneller beendet als von mir geplant. Das Rentenalter hatte ich mittlerweile und auch Zeit und Muße, mich an eine äußerst angenehme Stadt zu gewöhnen. Da ich gerade eine komplizierte private Phase mit der Trennung von meiner Frau hinter mir hatte, bot sich ein neuer Lebensmittelpunkt logisch an. Sowohl meine überraschende Kurzzeit-Trainertätigkeit, als auch meine folgende Mitgliedschaft im Präsidium der Borussia in Mönchengladbach waren und sind von Franken aus problemlos zu realisieren.

SPOX: Bei den Fohlen blieben Sie damals nur für die Saison 2008/2009 und schafften den Klassenerhalt. Seit 2011 sind Sie dort Präsidiumsmitglied. Wie kam's?

Meyer: Es war ja keine ganze Saison, die zum Glück gut endete. Als nach zwei weiteren Jahren die Borussia in Person von Geschäftsführer Stefan Schippers und Manager Max Eberl in Nürnberg auftauchte und mir die Mitgliedschaft im Präsidium anbot, hat mir das grundsätzlich gefallen. Trotz meiner anfänglichen Skepsis, weil ich nicht wusste, was da an Aufgaben und Arbeiten anfällt, habe ich im Nachhinein alles richtig gemacht.

SPOX: Wie gefällt Ihnen diese Aufgabe?

Meyer: Für einen Fußballtrainer kann es nicht viel Schöneres geben, als das, was man sein Leben lang als Verantwortlicher getan hat, nun aus einer Beobachterrolle heraus zu tun. Ich genieße weiterhin die Privilegien des Profifußballs ohne Verantwortung für das Tagesgeschäft. Das ist als 74-Jähriger sehr angenehm und gut für einen geruhsamen, zufriedenen Lebensabend mit Aktivität.

SPOX: Nach Ihrer ersten Amtszeit von September 1999 bis März 2003 sind Sie kurz darauf zum Ehrenmitglied der Borussia ernannt worden.

Meyer: Das betrachte ich schon als große Ehre. Obwohl ich der Meinung bin, dass bei der Wahl durch die Vollversammlung mehr Gefühl als tiefgründige Recherche die Basis gebildet haben.

SPOX: Warum das?

Meyer: Das, was Hans Meyer für Borussia Mönchengladbach geleistet hat, ist natürlich nicht vergleichbar mit dem Wirken vieler anderer. Es gibt Menschen, die größere Verdienste haben als ich und vor allem sehr viel länger ihre Vereinstreue beweisen konnten.

SPOX: Wie regelmäßig sind Sie denn kraft Ihrer Funktion in Mönchengladbach vor Ort?

Meyer: Vier- bis sechs Mal im Monat, in erster Linie bei Heimspielen und Präsidiumssitzungen. Zusammen mit Rainer Bonhof sind wir bei fußballtechnischen Fragen gefordert, was bei unserer sportlichen Vergangenheit eher logisch ist. Wenn es um baurechtliche und betriebswirtschaftliche Dinge geht, wie kürzlich bei den Neubauten rund um den Borussia-Park, bin ich zwar dabei, aber eher als Zuhörender und Lernender.

SPOX: Man verbindet Sie nicht nur mit dem FCN oder Gladbach, sondern auch mit Carl Zeiss Jena oder dem Chemnitzer FC. Weshalb aber scheint die Verbundenheit mit dem VfL größer zu sein?

Meyer: Sie ist vielleicht nicht größer, aber deutlich aktueller. Das rührt vor allem von meinem ersten Engagement her. Dazu muss ich allerdings etwas ausholen.

SPOX: Tun Sie es.

Meyer: Als ich damals nach Gladbach kam, steckte der Klub in einer sehr vertrackten Situation: Tabellenletzter in der 2. Liga, vier Niederlagen in Folge, ein katastrophales Torverhältnis und mein Einstand gegen Aachen vor heimischem Publikum ging auch noch verloren. Zuvor hatte man das Tafelsilber des Kaders verkaufen müssen. Ich kann mich noch erinnern, wie Manager Christian Hochstätter und ich regelmäßig mit unseren drei Listen zum Präsidium gegangen sind. Auf der ersten standen Namen wie Messi, der damals zwölf Jahre alt gewesen sein müsste.

SPOX: Die haben Sie ja gleich mal in die Tonne kloppen können, oder?

Meyer: Stimmt. Auf der zweiten standen ebenfalls Spieler, die für uns damals nicht erreichbar waren. Auch die dritte war schwer realisierbar, weil damals fast niemand mit Klasse nach Gladbach wollte. Die Mannschaft war charakterlich einwandfrei, nur waren wir damals qualitativ schon limitiert. Wir haben ein gutes Jahr gebraucht, um die Sache mit unseren mageren Mitteln zu stabilisieren und gemeinsam zueinander zu finden. Ich habe zudem schnell einen guten Draht zu Präsidium und Umfeld gefunden. Letztlich sind wir als Zweiter aufgestiegen und haben gefeiert, als seien wir Meister geworden. Anschließend hielten wir zwei Mal die Klasse und haben uns einvernehmlich getrennt. Das hat sowohl beim Verein als auch bei den Fans und mir ausgereicht, um uns auch in Zukunft mit Achtung und Anerkennung zu begegnen. Und das dauert bis heute an.

SPOX: Nach ihrer Rettungsaktion 08/09 haben Sie Ihr Amt aus eigenem Wunsch niedergelegt, obwohl Sie noch einen gültigen Vertrag besaßen.

Meyer: Es hatte sich für mich mit dem Klassenerhalt endgültig erledigt. Ich wollte helfen und es ist mir zum Glück knapp gelungen. Das war's dann eben.

SPOX: Wie sieht mittlerweile Ihr Alltag aus?

Meyer: Ich bin Rentner. Ich habe zwei, drei Zeitungskolumnen laufen und sitze regelmäßig eine Stunde pro Tag am Computer. Dann habe ich einen Schachpartner, mit dem ich mich zwei Mal wöchentlich duelliere. Zwischen vier und sechs Mal in der Woche gehe ich zudem meine 1000 Meter schwimmen. Ansonsten treffe ich mich mit Freunden und halte ein Schwätzchen oder gehe zum Zeitung lesen in ein nettes Cafe. Nicht zu vergessen meine drei Kinder und acht Enkelkinder, mit denen ich, wenn möglich, besonders gerne unterwegs bin. Durch die unterschiedlichen Wohnorte eigentlich zu wenig.

SPOX: Sie haben vor bald zehn Jahren mit dem Club den größten Erfolg der jüngeren Vereinsgeschichte gefeiert. In Nürnberg wohnen Sie mitten in der Innenstadt. Werden Sie häufig erkannt?

Meyer: Die Fußballinteressierten sind zum Teil so vernünftig, dass sie sich zurückhalten. Von den vielleicht sechs bis acht Menschen, die mich pro Tag erkennen, bekomme ich meist positive Reaktionen. Das ist angenehm und stört mich auch nicht. Und derjenige, der denkt, der blöde Meyer ist ja immer noch hier, sagt mir das glücklicherweise nicht ins Gesicht. Das tut man mittlerweile ja eher über das Internet.

SPOX: 2011 haben Sie zusammen mit Ihrer Partnerin eine Weltreise unternommen. War das etwas, das Sie schon immer mal machen wollten?

Meyer: Ja. Meine Sommerurlaube all die Jahre zuvor dauerten nie länger als 14 Tage - und dann wurde man noch täglich drei Mal vom Manager wegen anstehender Transfers angerufen. Ich bin dank des Fußballs viel in der Welt herumgekommen. Doch als wir damals mit Carl Zeiss Jena beim AS Rom spielten, saß ich als Absolvent eines Geschichtsstudiums zwei Stunden bei einer Stadtrundfahrt in einem Bus und das war's. Das war mir natürlich zu wenig.