BVB: Saison am seidenen Faden

Von Tristan Ebertshäuser
Was erreicht Aubameyang in dieser Saison mit dem BVB?
© getty

Das 150. Revierderby steht an (Samstag, 15.30 Uhr im LIVETICKER). Für Borussia Dortmund ist es gleichzeitig der Startschuss in ein echtes Mammutprogramm aus neun entscheidenden Spielen, die Mannschaft und Trainerteam alles abverlangen werden. Dass nach dem ständigen Auf und Ab der BVB-Saison nun noch alles erreicht, aber auch alles verspielt werden kann, ist Fluch und Segen zugleich.

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Es ist angerichtet: Der April serviert dem BVB in nur 28 Tagen ein attraktives, aber ebenso anspruchsvolles Neun-Gänge-Menü. Gleich der erste Gang schmeckt erfahrungsgemäß besonders süß - oder besonders bitter: Schalke 04.

Von den vergangenen sieben Derbys hat der Ballspielverein nur eines verloren (2014, 1:2 auf Schalke). Obwohl unter Thomas Tuchel also noch keines der Prestigeduelle verloren ging, weiß der Dortmunder Chefkoch: Schalke ist wie ein Kugelfisch. Man kann ihn nur genießen, wenn man ihn sorgfältig zerlegt hat. Schon ein Unentschieden wie beim 2:2 im April des letzten Jahres kann vergiftete Diskussionen um Rotation und fehlenden Respekt vor dem für die Fans wichtigsten Spiel der Saison entfachen.

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Eine große Rotation ist nach der Länderspielpause nicht zu erwarten. Dennoch steht Tuchel ein Balanceakt bevor: Er muss es schaffen, die in dieser Saison vor allem durch extreme Leistungsschwankungen auffallende BVB-Elf sicher durch die kommenden Wochen zu manövrieren. Das heißt: ohne Leistungsabfall, aber auch ohne Verletzungen zu riskieren.

Neben dem Derby wartet in der Champions League zweimal Monaco. Im DFB-Pokal geht es im Halbfinale gegen die Bayern und das mal wieder auswärts, genauso wie in der Liga, wo man außerdem nach Mönchengladbach muss. Daheim empfangen die Borussen den HSV, Frankfurt und Köln. Durchweg unangenehme Aufgaben und alles andere als Selbstläufer. Wer den BVB diese Saison verfolgt hat, weiß: Sowohl glorreiche Siege gegen Bayern und Monaco als auch völlig unnötige oder gar verdiente Niederlagen gegen Frankfurt oder Köln sind absolut realistisch.

Positive Stimmung in Dortmund

Die Ausgangslage ist dabei wesentlich positiver, als das zwischenzeitlich nach einem der unzähligen unerwarteten Punktverluste gegen Mannschaften wie Augsburg, Mainz oder Darmstadt zu erwarten war. Der Abstand auf Leipzig ist auf drei Punkte geschmolzen. Hoffenheim sitzt den Borussen zwar im Nacken, aber zumindest auf Hertha und den ersten Europa-League-Platz sind es sechs Punkte Vorsprung.

Dazu kommt, dass in Dortmund seit einiger Zeit wieder eine positive Grundstimmung zu verspüren ist. Trotz der unverdienten Niederlage gegen Hertha hat der BVB im März einen deutlichen Sprung gemacht, wirkt - meist - eingespielter, souveräner. Gegen Ingolstadt holte die Mannschaft außerdem auch mal in einem schlechten Spiel drei Punkte.

Viele Spieler kommen pünktlich zur entscheidenden Phase der Saison in Form - allen voran Marc Bartra, der sein Talent regelmäßig auf den Platz bekommt. Auch Gonzalo Castro und Shinji Kagawa sind wieder in Schwung. Was die Youngster Christian Pulisic und Ousmane Dembele seit Wochen leisten, ist außergewöhnlich. Zwar gibt es immer noch Sorgenkinder wie Matthias Ginter oder Marco Reus, aber es werden weniger.

Länderspielpause gut gelaufen

Die Länderspielpause lief für Schwarz-Gelb geradezu optimal. Es gab keine Verletzungen, auch Julian Weigl trainierte nach seinem Pferdekuss bereits am Dienstag wieder. Einige Spieler wie Pierre-Emerick Aubameyang und Bartra bekamen Pausen. Raphael Guerreiro und Dembele wurden zumindest im zweiten Länderspiel geschont, was die BVB-Verantwortlichen wohlwollend wahrgenommen haben.

Dazu kommt, dass fast alle Spieler mit enormem Selbstbewusstsein nach Brackel zurückkehren. Andre Schürrle traf doppelt und auch Kagawa, Pulisic, Lukasz Piszczek, Emre Mor, Mikel Merino und Alexander Isak netzten teils spektakulär für ihre Auswahlteams.

Die Saison steht auf Messers Schneide

Die Chance, die sich Tuchel und seiner Mannschaft bietet, ist riesig. Der BVB könnte in dieser - um es nett zu formulieren - "komischen" Umbruchsaison noch sämtliche Erwartungen übertreffen. Direkte Champions-League-Qualifikation, DFB-Pokal-Finale, sogar das Halbfinale der Königklasse - alles ist machbar.

Genauso könnte die Saison im April aber endgültig ins Negative kippen. Gegen Bayern und Monaco ausscheiden - kann passieren. Mit der Inkonstanz der bisherigen Saison sind auch Niederlagen gegen Angstgegner Hamburg und Gladbach möglich - dazu eine Derbyniederlage und die Katastrophensaison ist perfekt.

Wem dann die Schuld zugeschoben wird, scheint klar: Tuchel. Seit Wochen wird über ein angespanntes Verhältnis zur Führungsetage um Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc spekuliert, selbst ein Abschied im Sommer scheint möglich.

Tuchel zeigt mehr Emotionen

In seinen knapp zwei Jahren in Dortmund hat Tuchel gezeigt, dass er die jungen Spieler besser machen kann und dem BVB ein klares Konzept verpasst hat. Auch emotional kommen sich Trainer und Fans langsam näher. Ähnlich wie bei seinem Mentor Pep Guardiola in München speist sich das Bild vom emotionslosen Taktikfuchs, der keinen Bezug zur Kultur und zum Umfeld des Vereins entwickeln kann, mehr aus Tuchels Ruf und dem Kontrast zu Vorgänger Jürgen Klopp als aus Tatsachen.

Spätestens seine Kritik an der Kollektivstrafe gegen die Südtribüne war in dieser Hinsicht ein Wendepunkt, als er daran erinnerte, dass die ausgesperrte Stehplatztribüne dieselbe sei, "die auf eine unglaublich mitfühlende Art im Spiel gegen Mainz den Support eingestellt hat, aufgrund eines Unglücks auf der Tribüne", und dieselbe, "die ausgezeichnet wurde für die Stimmung in den Spielen gegen Liverpool".

Ein Derbysieg auf Schalke wäre nicht nur für Tuchel ein weiterer Schub, sondern für die gesamte Mannschaft. Wie die Saison im Rückblick bewertet wird, entscheidet sich dadurch, ob man das aufgetischte Neun-Gänge-Menü im April ordentlich herunterbekommt.

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