Die WM ist entschieden? Von wegen!

Lews Hamilton und Sebastian Vettel haben zusammen 106 Formel-1-Siege eingefahren
© getty

Die Formel-1-Saison 2017 steuert langsam ihrem Ende entgegen. Vor dem Großen Preis von Japan (alle Sessions im LIVETICKER) spitzt sich der Kampf um die WM-Krone zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel zu. Der Engländer in Mercedes-Diensten hat die bessere Ausgangslage, doch abschreiben darf man Vettel und Ferrari noch lange nicht.

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Lewis Hamilton dürfte sich nach dem Großen Preis von Malaysia wie ein Stürmer im Fußball gefühlt haben, der gerade einen Dreierpack geschnürt, mit seiner Mannschaft aber trotzdem verloren hat. Irgendwie ganz froh über den eigenen Erfolg, sich jedoch auch bewusst, dass sonst eigentlich nichts nach Plan gelaufen ist.

Zugegeben: Hamiltons Mannschaft, das Mercedes AMG F1 Team, hat das Spiel - beziehungsweise das Rennen - am vergangenen Sonntag rein punktetechnisch gewonnen. 16 Zähler haben die Stuttgarter da auf Ferrari gutgemacht und den Vorsprung in der Hersteller-Wertung so auf 118 Punkte ausgebaut (503 zu 385). Auch Hamilton selbst erweiterte seine WM-Führung von 28 auf 34 Punkte.

Trotzdem war Mercedes der gefühlte Verlierer. "Ich sehe nichts Positives heute", klagte Motorsportchef Toto Wolff direkt nach dem Malaysia-GP: "Natürlich kann man es punktuell betrachten und sagen, wir hätten in der Meisterschaft aufgeholt. Aber wir haben nur durch das Unglück von Räikkönen und Vettel aufgeholt. Mir geht es immer um die eigene Pace. In Wahrheit haben wir auf den Ferrari 30 Sekunden verloren."

Räikkönen konnte den Grand Prix in Sepang wegen eines technischen Defekts am Motor nicht starten. Vettel musste nach einem ähnlichen Schaden am Samstag als Letzter ins Rennen gehen und hatte damit keine realistischen Erfolgschancen. Und das alles an einem Wochenende, an dem für Ferrari eigentlich ein Doppelsieg drin gewesen wäre. Besonders bitter für die Scuderia: Bereits zuvor in Singapur verpassten die Italiener ein sichergeglaubtes Top-Ergebnis, weil Vettel und Räikkönen am Start mit Max Verstappen kollidierten.

Lewis Hamilton in Topform, Sebastian Vettel im Schlamassel

Es ist ein Muster, das sich seit der Sommerpause durch die Königsklasse zieht. Bis auf den Großen Preis von Italien hatte Vettel an allen Wochenenden das schnellste Auto. Triumphieren durfte am Ende trotzdem zumeist Rivale Hamilton, der 93 von möglichen 100 Punkten einheimste. "Lewis hat in den zurückliegenden Wochen aus jeder Gelegenheit das Beste gemacht", lobte Wolff seinen Schützling.

In der Tat befindet sich der Engländer seit Wochen in Topform. Er ist grundschnell, macht keine Fehler und geht kein unnötiges Risiko. Ganz anders Vettel: Beim Heppenheimer ist der Wurm drin, immer wieder steckt er, verschuldet oder nicht, mitten im Schlamassel - sei es technisches Pech, der Startunfall in Singapur oder der kuriose Crash mit Lance Stroll in der Auslaufrunde vom Malaysia-GP.

Doch aufgeben will sich Vettel vor dem Großen Preis von Japan selbstverständlich nicht. "Wir haben ein gutes Auto, das in der Lage ist, auf jeder der fünf noch folgenden Strecken zu gewinnen. Ich denke also, es gibt eine Chance. Die wollen wir nutzen", stellte der 30-Jährige in Suzuka klar. Mit Recht: Vettel kann den Titel immer noch aus eigener Kraft gewinnen. Was er dazu braucht? Fünf Siege in den verbliebenen fünf Rennen.

Red Bull als Zünglein an der Waage

Ein Unterfangen, das theoretisch möglich, praktisch aber eher unwahrscheinlich ist. Also wird Vettel auf Schützenhilfe von seinem Ex-Arbeitgeber Red Bull hoffen. Der Brause-Rennstall ist zu alter Stärke zurückgekehrt und könnte im Titelkampf das Zünglein an der Waage spielen und der Konkurrenz wertvolle Zähler stibitzen.

"Es kann gut sein, dass wir auch in den kommenden Rennen vor Mercedes liegen und damit Sebastian helfen", spekulierte RB-Motorsportchef Helmut Marko, der bei Auto Bild Motorsport eine "noch völlig offene" Weltmeisterschaft sieht.

Allerdings ist Vettels Hoffnung auf Verstappen und Daniel Ricciardo ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite kann ihn das Bullen-Duo näher an Hamilton heranbringen, auf der anderen Seite ihm auch selbst in die Quere kommen.

Sebastian Vettel braucht Geist der Vergangenheit

Umso wichtiger ist es für den viermaligen Weltmeister damit, das eigene Potenzial nun voll und ganz abzurufen. Dass er große Rückstände am Saisonende aufholen kann, hat er in der Vergangenheit bewiesen. 2010 war Vettel zwei Rennen vor Schluss 25 Punkte hinten dran, ehe er in Abu Dhabi sensationell zu seinem ersten Titel fuhr. Zwei Jahre später lag er wenige Rennen vor Ende sogar 44 Punkte zurück. Wieder krönte er sich nach einer irren Aufholjagd zum Champion.

Einen ähnlichen Schlussspurt braucht der Hesse auch in diesem Jahr. Der Große Preis von Japan soll den Anfang machen, immerhin hat er auf seiner Lieblingsstrecke bereits vier Mal gewonnen.

Allerdings ist auch klar, dass Hamilton und Mercedes trotz der jüngsten Schwächen nicht zu unterschätzen sind. "Man darf die vielen Stärken nicht vergessen", erinnert Wolff an die Erfolge in diesem Jahr: "Unser Auto hat mehr Pole Positions und Rennsiege eingefahren als jedes andere, wir führen beide Weltmeisterschaften an." Damit Letzteres so bleibt, haben die Silberpfeile eine Taskforce ins Leben gerufen, die die aktuellen Probleme möglichst schnell beiseiteschieben soll.

Lewis Hamilton: "Das Auto ist etwas bockig"

Der Mercedes W08 reagiert nämlich nach wie vor sehr empfindlich auf Setup-Änderungen und ist damit schwer abzustimmen. "Das Auto ist etwas bockig", führt Hamilton aus: "Es hat viel mit mir gemeinsam: Das Potenzial ist groß, aber es macht nicht immer das, was man von ihm verlangt." Besonders große Schwierigkeiten hat der Silberpfeil dann, wenn die Asphalttemperaturen hoch sind und die Strecke viel Grip bietet sowie hohe Abtriebsleistungen verlangt.

Ein Upgrade, das diese Schwächen ausmerzen sollte, schlug in Malaysia fehl. Hamilton wechselte während des Wochenendes auf die alte Version zurück, Bottas fuhr mit den neuen Teilen unter ferner liefen. Wie sich das Aero-Update in Japan verhält, wo es erneut zum Einsatz kommt, ist noch offen. Klar scheint nur, dass Ferrari mit seiner Entwicklungsarbeit in den letzten Monaten wohl bessere Arbeit geleistet hat.

Entsprechend ist eine Prognose für den WM-Kampf nicht möglich - trotz Hamiltons satten Punktepolsters. "Das fühlt sich für mich noch nicht nach einer komfortablem Position an. Wir müssen weiter Druck machen. Es gibt noch viele Punkte zu vergeben", warnt der Mann mit der Startnummer 44: "Es gibt noch viele Rennen. Und immer kann etwas passieren, was dich auf dem falschen Fuß erwischt."

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