Das Erwachen der Macht

Von Thorben Rybarczik
Zirbes ist ein echter Fighter
© getty

Roter Stern Belgrad beendete die Euroleague-Saison des Bayern München. Vor allem ein Mann überzeugte in der gesamten Vorrunde: Maik Zirbes. Nach der verpassten WM im Sommer blüht der Center in Serbien so richtig auf und spielt auf MVP-Niveau.

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Es gibt diese Momente in der Karriere eines Sportlers, in denen er eine Entscheidung treffen muss. Soll er lieber auf Altbewährtes setzen, in seinem vertrauten Umfeld bleiben und hoffen, dass der nächste Schritt der Entwicklung quasi von alleine kommt? Oder doch lieber etwas komplett Neues wagen, den Sprung ins kalte Wasser? Mit der Gefahr, dass man sich übernimmt und einen Schritt zurück anstatt einen nach vorne macht?

Maik Zirbes entschied sich im Sommer 2014 für die Risiko-Variante und verließ sein bekanntes Beko-BBL-Umfeld, um bei einem Traditionsklub vom Balkan anzuheuern: Roter Stern Belgrad. Den bulligen Center erwartete in Serbien eine fremde Sprache, eine fremde Kultur und vor allem eine völlig andere Art des Basketballs.

Im Südosten Europas geht es härter, physischer und vor allem emotionaler zu als in Deutschland, das orangene Leder hat traditionell einen viel höheren Stellenwert. Unter dem Strich also keine einfache Situation für den damals 24-Jährigen. Doch nach anderthalb Jahren steht fest: Es hat sich gelohnt.

Ein Duo zum Fürchten

In der laufenden Euroleague-Saison ist Zirbes nicht nur in die Starting Five gerückt, sondern hat auch großen Anteil daran, dass es überhaupt zum "Do or Die"-Spiel gegen die Bayern kommt - ohne ihn wären die Belgrader wohl schon vorzeitig ausgeschieden. Mit 16,2 Punkten pro Spiel führt er sein Team im Scoring an, wobei er überirdische 70,4 Prozent aus dem Feld trifft und nebenbei noch 5,8 Rebounds einsammelt. In durchschnittlich nur 24 Minuten Spielzeit.

Auch die Bayern durften sich bei der 79:90-Hinspielniederlage einen Eindruck vom "neuen Zirbes" verschaffen. Der 2,07-Meter-Mann traf sieben seiner acht Feldwürfe für 14 Punkte, vor allem auf sein Zusammenspiel mit Stefan Jovic, der mal eben 19 Assists raushaute, hatten die Süddeutschen keine Antwort. Zu konsequent lief Zirbes das Pick-and-Roll, zu präzise waren die Pässe von Jovic, zu kaltschnäuzig die Abschlüsse seiner Anspielstation am Brett.

Darüber hinaus stimmte auch die Defense der Nummer 33. Zwar holte Zirbes nur einen Rebound, machte aber am Mann gegen John Bryant oder Deon Thompson einen mehr als ordentlichen Job. Beide kamen zusammengerechnet auf - für ihre Verhältnisse mäßige - 18 Punkte und blieben bei unter 50 Prozent aus dem Feld. Vor allem die Fußarbeit des Nationalspielers kommt sehr verbessert daher, ein unkontrolliertes Reinschlagen in Ball und Arme des Gegners gehören der Vergangenheit an.

Zirbes, der Co-MVP

Am vorletzten Spieltag beim Belgrader Sieg über Khimki folgte dann ein weiterer Höhepunkt: 27 Punkte, neun von zwölf Würfen aus dem Feld und bärenstarke neun von neun Treffer von der Freiwurflinie sorgten für einen äußerst knappen 96:91-Erfolg. Die Belohnung kam postwendend: Zusammen mit Nando De Colo wurde er zum Co-MVP des Spieltags ernannt. Es war der vorläufige Höhepunkt einer zu diesem Zeitpunkt überragenden Saison.

Bleibt die Frage: Woher kommt diese Leistungsexplosion? Schließlich war Zirbes' letzte Saison in Deutschland alles andere als überzeugend. 2012 mit hohen Erwartungen von Trier zu den Brose Baskets nach Bamberg gewechselt, sollte Zirbes die Nachfolge vom nach Spanien abgewanderten Tibor Pleiss antreten.

Die Spielweise der beiden ist sehr unterschiedlich. Pleiss hat deutlich mehr Länge und besitzt darüber hinaus einen sicheren Sprungwurf von außerhalb der Zone, während Zirbes mit nur 2,07 Meter keine elitäre Center-Größe besitzt - genau so wenig wie einen Wurf. Dafür kommt er mit knapp 120 Kilo deutlich physischer und explosiver daher und kann sich dank dieser Eigenschaften immer wieder den nötigen Platz am Korb verschaffen.

Die Folge: Neben guten und hochprozentigen Abschlüssen elektrisiert er mit krachenden Dunks Mitspieler und Fans, darüber hinaus kreiert er durch seine Offensivrebounds gerne mal zweite Chancen für seine Teams. In seiner ersten regulären Saison bei Bamberg kam er auf eine knapp 60-prozentige Wurfquote bei 8,8 Punkten, legte in den Playoffs aber noch eine Schippe drauf.

"Hang zur Selbstgefälligkeit"

Im Viertelfinale gegen Hagen erteilte er dem Gegner eine Lehrstunde in Sachen Effizienz. Während des 3-1-Seriensieges traf er sensationelle 89,5 Prozent aus dem Feld und leistete sich insgesamt nur zwei Fehlwürfe. Auch im weiteren Verlauf der Playoffs war der Big Man immer Starter und trug seinen Teil zur Meisterschaft bei.

Doch im Jahr drauf hatte Bamberg mit einigen Abgängen zu kämpfen, der Kader wurde auf vielen Positionen umgestellt. Die Veränderungen gingen auch an Zirbes nicht spurlos vorbei, der in dieser Phase den nächsten Entwicklungsschritt verpasste. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt der Saison wurde ihm eine ungenügende Arbeitseinstellung vorgeworfen. Baskets-Sportdirektor Wolfgang Heyder unterstellte ihm in einem Interview sogar einen "Hang zur Selbstgefälligkeit".

Und so kam es, wie es kommen musste: Zirbes verlor seinen Platz als Starter an den Amerikaner D'Or Fischer, die Baskets mussten nach vier Meisterschaften in Folge den Titel an Bayern abgeben und verloren ihren Startplatz in der Euroleague. In Bamberg entschied man sich anschließend für einen Rebuild, während für Zirbes die besagte, wegweisende Entscheidung anstand.

Es kam also zur Trennung, der Vertrag Zirbes' wurde einvernehmlich aufgelöst. Da die "vorgesehene Rolle" in der Mannschaft nun nicht mehr seinen Erwartungen entspreche, habe man sich getrennt, teilten die Bamberger trocken mit.

Vom Riesen lernen

Neben dem offensichtlichen Grund, bei Roter Stern weiterhin in der europäischen Königklasse spielen zu können, begründete Zirbes seinen Wechsel im SPOX-Interview auch mit Wissensdurst: "Es spielte auch eine Rolle, dass mich der Balkan und speziell Serbien interessiert hat, da hier viele gute Trainer und Spieler hervorgebracht wurden und werden. Das war für mich ein Zeichen, dass die Art und Weise, wie hier mit einem gearbeitet wird, ziemlich einzigartig ist. Serbien ist ein relativ kleines Land, aber trotzdem schafft man es immer wieder, gute Spieler zu entwickeln".

Außerdem spielte ein gewisser Boban Marjanovic zu diesem Zeitpunkt ebenfalls bei Roter Stern - und wie soll man effektiver lernen als beim täglichen Training mit einem der besten Center Europas? Der 2,22-Meter-Hüne "blockierte" zwar anfangs den Platz in der Starting Five, doch Zirbes konnte sich einiges vom 27-Järhigen abschauen: "Er ist zwar ein Riese, dennoch ist seine Fußarbeit wirklich hervorragend. Dazu kommen noch seine Bewegungen im Post-Spiel. Da kann ich mir wirklich immer wieder etwas abschauen und meine eigenen Abläufe anpassen. Das bringt mich schon extrem weiter", so Zirbes.

Einfacher, schneller, besser

Und in der Tat scheint das Lehrjahr enorm gefruchtet zu haben. Zwar besitzt der deutsche Nationalspieler, der sich in seiner Entwicklung auch vom Last-Minute-Verpassen der EM nicht bremsen ließ, nach wie vor keine höhere Reichweite, bringt seine vorhandenen Stärken aber besser zur Entfaltung.

Besonders auffällig: Nach Anspielen aus dem Pick-and-Roll oder Durchsteckern von penetrierenden Guards schließt Zirbes meistens ab, ohne den Ball einmal nach unten genommen zu haben. Sein Release am Brett ist schneller geworden und erfolgt von einem höheren Punkt aus - die Zeiten, in denen er nach einem unnötigen Dribbling noch den Ball verlor oder durch zu langes Zögern einen weiteren Verteidiger auf sich zog, sind vorbei.

Hält Zirbes seine derzeitige Form, zählt er zu den besten Big Men der Euroleague. Seine Nominierung zum Spieltags-MVP hat gezeigt, dass seine Leistungen auch gewürdigt werden. Somit könnte er auch im erweiterten Kreis der MVP-Kandidaten der kompletten Saison aufgenommen werden - sein Team steht immerhin schon im Top 16.

Maik Zirbes im Steckbrief

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