I, Vassilis

Von Max Marbeiter
Vassilis Spanoulis gewann insgesamt drei Mal die Turkish Airlines Euroleague
© getty

Vassilis Spanoulis zählt zu den besten Basketballern Europas. Kaum einer blüht in entscheidenden Phasen so auf und bleibt äußerlich dabei so entspannt wieder Grieche. Spanoulis ist Olympiakos Piräus' unangefochtener Leader, hat alles gewonnen. Nur in der NBA wurde er nicht glücklich. Eine Hommage zu seinem 33. Geburtstag...

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Ein Blick in Vassilis Spanoulis' Gesicht gab nicht zwingend Aufschluss über die aktuelle Situation. Gibt er eigentlich nie. Plante er gerade den Wochenendeinkauf? War ihm soeben eingefallen, dass ein unangenehmes Abendessen anstand? Oder musste er in den kommenden Minuten eventuell doch ein Basketballspiel zu Olympiakos' Gunsten entscheiden? Tatsächlich stand Spanoulis gerade im Halbfinale der Turkish Airlines Euroleague, hatte soeben 11 Würfe genommen - und vergeben - und nur noch wenige Minuten Zeit, das Spiel doch noch irgendwie zu drehen.

Der Gesichtsausdruck? Ein wenig melancholisch vielleicht, aber immer ruhig. Beinahe stoisch. "Wenn du diesen Gesichtsausdruck behalten kannst, dass alles ok ist, verfällt niemand in Panik", sollte Teamkollege Brent Petway im Gespräch mit SPOX später sagen. "Wenn dein Leader in Panik verfällt, verfällt auch das Team in Panik."

Spanoulis verfiel nicht in Panik. Fünf Minuten vor dem Ende traf er seinen ersten Wurf des Spiels - direkt einen Dreier. Die Miene blieb gleich. Unruhe machte sich lediglich auf der Tribüne breit. Macht er es etwa schon wieder? Dreht er erneut auf wie damals 2013 im Finale von London?

Als Billy kurz darauf erneut von draußen traf, wurde aus Spekulation langsam Gewissheit. Es könnte wieder einer dieser Abende werden. Ganz sicher war sich allerdings niemand. Da waren schließlich diese 11 vergebenen Würfe. Nach einem Switch hatte Spanoulis dann plötzlich den deutlich längeren Andrei Vorontsevich vor sich.

Schon wieder ein Spiel entschieden

Ob es ihn gestört hat? Das Gesicht verriet es nicht, die Handlung verriet das Gegenteil. Links vom Korb ging Spanoulis ins Dribbling. Stepback. Drin! Ekstase beim Anhang der Griechen, keine Regung im Gesicht von Spanoulis. Er war ja noch nicht fertig. Mittlerweile hatte auch jeder begriffen, dass Vassilis Spanoulis an diesem Abend wohl keinen Wurf mehr verfehlen würde.

Wahrscheinlich wusste es auch Nando de Colo, als er kurz darauf den Versuch unternahm, den Griechen am erfolgreichen Jumper zu hindern. Vergebens. Entspannt dribbelte Spanoulis die Uhr herunter. Den Blick dabei immer auf de Colo gerichtet. Ein Schritt nach rechts. Der nächste Stepback. Der nächste Dreier - kurz darauf stand Olympiakos im Finale.

Spanoulis hatte es erneut getan. Als Zuschauer wirkten Szenerie und Augenblick beinahe surreal. Man hatte es nicht kommen sehen. Nicht nach diesen ersten drei Vierteln. Überraschend brachen diese finalen fünf Minuten aber irgendwie dennoch nicht über das Barclaycard Center und Gegner ZSKA herein. Spanoulis' Mitspieler hatten sich jedenfalls keinerlei Sorgen gemacht.

"Da wird er zum Roboter"

"Wir zweifeln nie an ihm", sagt auch Petway. "Es macht immer den Anschein, als verändere sich bei ihm irgendetwas, sobald das vierte Viertel beginnt. Da wird er zum Roboter."

Zum Roboter. Ein durchaus passender Vergleich. An jenem Abend in Madrid machte Spanoulis nichts Besonderes, er verwirrte seine Gegner nicht durch diverse Crossover, Hesitation-Dribbles oder schlängelte sich durch zahlreiche Screens. Er dribbelte einfach die Uhr herunter, machte einen Schritt zurück und traf. Einfach. Selbstverständlich. Effektiv. Wie ein Roboter eben.

"Wenn du so jemanden hast, musst du dich einfach auf ihn verlassen", sagt Petway und zieht direkt den größten aller (basketballerischen) Vergleiche. "Das ist wie damals bei Michael Jordan. Die Bulls haben ihm den Ball auch immer wieder gegeben. Egal, ob er im Spiel zuvor überhaupt nichts getroffen hatte."

Im Kleinen wie Jordan

Selbstverständlich klingen derlei Vergleiche ein wenig hochgestochen. Zwischen Jordan und Spanoulis liegt einiges. Isoliert betrachtet, weisen die beiden in diesem speziellen Fall jedoch durchaus Parallelen auf. Wie einst MJ scheint auch Spanoulis den großen Moment zu genießen, in ihm aufzugehen. So waren jene Minuten von Madrid nicht die ersten, in denen der Grieche ein Spiel entschied, die er prägte - und es werden wohl auch nicht die letzten sein. Schließlich habe er "immer und immer wieder bewiesen", was er in solchen Situationen zu leisten vermag, sagt Petway.

Eine detailgetreue Beweisführung würde wohl zu viel Zeit in Anspruch nehmen, zu zahlreich sind Spanoulis' Heldentaten. Spiele wie das Euroleague-Finale 2013 gegen Real, bei dem er all seine 22 Punkte in der zweiten Hälfte auflegte und Piräus damit zum zweiten Titel in Serie führte, dienen jedoch bestens als erster Beleg für die mentale Stärke des Combo-Guards.

"Vielleicht wurde ich einfach dazu geboren", sagt Spanoulis selbst. "Meine Mutter hat mich für diese Momente hierher gebracht." Etwas weniger pathetisch äußerte er sich vor rund zwei Jahren im SPOX-Interview. In engen Spielen habe er einfach "immer das Gefühl, die richtige Entscheidung treffen zu können. Das ist irgendwie in mir. Ich arbeite aber nicht speziell daran, es kommt ganz natürlich."

Deshalb denke er "beim nächsten Mal auch überhaupt nicht mehr darüber nach", wenn er einmal einen entscheidenden Wurf vergeben habe. Am Ende dürfe man sich einfach nicht verunsichern lassen. "Du vergibst viele Würfe, aber du triffst auch viele." Jordan habe schließlich auch zugegeben, mehr entscheidende Würfe verpasst als getroffen zu haben, "aber dennoch immer weitergemacht."

Sogar für die USA zu viel

Auch Spanoulis macht immer weiter. Er trifft Gamewinner wie seinen entscheidenden Dreier während der Euroleague-Playoffs 2014 gegen Erzrivale Panathinaikos. Er trifft Buzzerbeater. Er entscheidet Spiele. Selbst die USA bekamen ihre ganz persönliche Kostprobe vom Können des MVP, des "Most Vassilis Player".

Während der Basketball-WM 2006 traf man sich im Halbfinale. Selbstverständlich waren die Rollen klar verteilt. Hier die athletische Übermacht aus den USA, dort die kleinen Griechen, die trotz ihrer langen Basketballtradition eigentlich chancenlos sein sollten. Eigentlich. Denn die Helenen hatten Theo Papaloukas und, richtig, Spanoulis. Letzterer legte 22 Punkte auf und führte Griechenland damit gemeinsam mit Papaloukas überraschend ins Finale.

Gut möglich, dass man sich in Houston einerseits zwar über die Niederlage seiner Landsleute geärgert, andererseits jedoch auch ein latentes Glücksgefühl empfunden hat. Schließlich hatten die Rockets Spanoulis für die anstehende Saison nach Texas geholt, ihn aus seinem Vertrag bei Panathinaikos herausgekauft.

Das Missverständnis Houston

Spanoulis' Traum von der NBA hatte sich tatsächlich erfüllt. Und das nur ein Jahr, nachdem er vom kleinen Maroussi nach Athen gewechselt war. Nun wollte "Euro Kobe", wie er damals genannt wurde, in den USA durchstarten. Er tat es nicht. Spanoulis kam nicht mit der stark gekürzten Spielzeit klar, spielte kaum effektiv (2,7 Punkte, 0,7 Rebounds, 0,9 Assists, 31,9 Prozent FG, 17,2 Prozent 3FG in 8,8 Minuten).

Natürlich wird da schnell das Klischee vom hochdekorierten Europäer, der in der NBA überfordert ist, bedient. Und sicherlich wurden Spanoulis seine durchaus vorhandenen Schwächen zum Verhängnis. Sein Spiel ist Turnover-anfällig. Das war es vor der NBA. Das war es in der NBA. Und das ist es auch heute noch.

Wo Spanoulis seine Schwäche in Europa aber noch auszugleichen wusste, wurde sie in den USA entblößt. Soweit, dass Houstons damaliger Coach Jeff van Gundy seinen Rookie immer weniger spielen ließ - bis die beiden schließlich aneinandergerieten. "Er sagte: 'Zuhause war ich McGrady'", erklärte van Gundy damals. "Großartig. McGrady ist hier McGrady." Spanoulis habe einfach nicht gut gespielt und sich deshalb eigentlich die Frage stellen müssen, was er hätte besser machen können. "Nicht andere verantwortlich machen."

Keine Horrorgeschichten für Papanikolaou

Nach nur einer Saison tradeten die Rockets Spanoulis nach San Antonio. Auch wegen eigener Fehler war es sicher nicht das einfachste Kapitel in Spanoulis' Karriere, heute blickt Billy jedoch entspannt zurück.

Zwar seien die Rockets nicht das richtige Team für ihn gewesen, doch er bereue nichts. Erstmals in seiner Karriere habe er viel Zeit gehabt, gezielt individuell an seinem Spiel zu arbeiten. "Die Zeit in den USA hat mich als Spieler definitiv weitergebracht."

Und so bekam auch Kostas Papanikolaou keine Horrorgeschichten zu hören, als er Spanoulis vor seinem Wechsel nach Houston um Rat fragte. "Er sagte, dass es sein Fehler war und er noch ein Jahr länger hätte bleiben sollen", erzählt Papanikolaou. "Er sagte mir: 'Das erste Jahr ist sehr hart. Wenn es dir aber wirklich gefällt und du es wirklich willst, musst du bleiben.' Im ersten Jahr ist es gerade für europäische Spieler schwer, sich anzupassen."

Endlich wieder McGrady

Es ist eine späte Erkenntnis. Denn Spanoulis versuchte sich nicht bei den Spurs, zu denen er nach seiner Premierensaison getradet worden war, aufgrund der Erkrankung seiner Mutter wollte er zurück nach Griechenland. Zurück zu Panathinaikos. Und so kam es.

Plötzlich war Spanoulis wieder McGrady. Oder besser: Der Spanoulis, den alle kannten, der Spiele entschied und Titel gewann. Wie 2009, als er mit Pana die Euroleague gewann und zum Final-Four-MVP gewählt wurde. Spanoulis war wieder ganz oben - orientierte sich ein Jahr später aber doch erneut um.

Ein kontroverser Wechsel und seine Folgen

Ausgerechnet bei Olympiakos unterschrieb er. Bei Panathinakos' verhasstem Erzrivalen. Ein Wechsel, über den Spanoulis selbst kaum spricht. Ein Wechsel, wegen dem Panas damaliger Coach Zeljko Obradovic nur noch ungern über Spanoulis spricht. Ein Wechsel, wegen dem ihm Dimitris Itoudis, der damalige Assistenztrainer der Serben, falsches Spiel vorwarf, woraufhin sich Billy ein letztes Mal verteidigend äußerte.

Ein Wechsel, der noch heute die Gemüter erhitzt, wenn Spanoulis nach einem wichtigen Dreier gegen Panathinaikos sein stoisches Wesen kurz vergisst und sich demonstrativ die Hände an die Ohren hält. "Ich kann Euch nicht hören", wollte er signalisieren. Und das auswärts. Die Anhänger flippten aus, bewarfen Olympiakos mit Gegenständen, das Spiel wurde abgebrochen. Nach der Schimpftirade von Pana-Präsident Dimitris Giannakopoulos musste Spanoulis' Haus aus Angst vor Übergriffen sogar von der Polizei bewacht werden.

Mehr als nur normaler Sportler

Solche Dinge lassen den Combo-Guard sicherlich nicht kalt. Sie beschäftigen ihn. Es sind Dinge, die über den Sport hinaus gehen. Am Ende ist Spanoulis jedoch auch alles andere als ein normaler Sportler. Vor allem in Griechenland. Vizeweltmeister. Europameister. Sechs Mal griechischer Meister. Zwei Mal Griechenlands MVP. Dazu Euroleague-MVP und dreifacher Champion Europas. Er hat alles gewonnen.

Und hätte Olympiakos in diesem Jahr nicht das Finale gegen Real verloren, vielleicht hätte Spanoulis seinem Denkmal ein weiteres Mosaik hinzugefügt. Seinen vierten Euroleague-Final-Four-MVP-Titel hätte er sich in Madrid sichern können und wäre damit endgültig am großen Toni Kukoc (3) vorbeigezogen. Wahrscheinlich wäre dann sogar der Gesichtsausdruck aufschlussreicher gewesen. Denn das lehrt die Erfahrung: Im Erfolgsfall weiß Vassilis Spanoulis tatsächlich eine Gefühlsregung zu zeigen.