"Im Leben reduziert sich alles auf Liebe"

Schlierenzauer spricht im Interview über die Olympischen Spiele und Thomas Morgenstern
© GEPA

Schon mit 23 Jahren kürte sich Gregor Schlierenzauer zum - an Weltcupsiegen gemessen - erfolgreichsten Skispringer aller Zeiten. Vier Jahre später geht ein im Vergleich zu damals völlig neuer Schlierenzauer in seine 13. Weltcup-Saison.

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"Es geht für mich neu los. Ich bin upgedatet. Von dem, was war, kann ich mir nichts mehr kaufen", erklärt der 27-jährige Tiroler im Gespräch mit SPOX. Trotz bisher fehlender Einzel-Goldmedaille will er völlig befreit in den Olympia-Winter springen. "Ich habe in meiner Auszeit gelernt, dass sich im Leben immer alles auf Liebe reduziert - auf Liebe zu Dingen und Personen", setzt Schlierenzauer mittlerweile andere Prioritäten.

Im Interview übt das Ausnahmetalent Selbstkritik an seinem alten Ich und verrät, warum er nicht mehr Schlieri genannt werden will.

SPOX: Man hat das Gefühl, durch Ihre Auszeit sind Sie in Ihrer Persönlichkeit gereift. Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Gregor Schlierenzauer zu Beginn seiner Karriere und dem aktuellen Gregor Schlierenzauer?

Gregor Schlierenzauer: Die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Ich war noch ein Kind, als ich meine ersten Erfolge gefeiert habe - das sage ich ganz bewusst. Denn mit 16 Jahren hatte ich in Bezug auf das Leben noch wenig Erfahrung. Ich habe dem Erfolg alles untergeordnet und konnte gewisse Lebensphasen nicht ausleben. Danach habe ich mir eine Auszeit als öffentliche Person genommen, um zu reflektieren, was bisher in meinem Leben passiert ist. Als Kind hat man einen Traum, dem man nachgeht und der ging bei mir schnell in Erfüllung. Irgendwann wünscht man sich aber nur mehr Ski zu springen und die Nebengeräusche - wie die Öffentlichkeit, den Stress und den Druck - auszublenden.

SPOX: Haben Sie das Gefühl, in Ihrer Zeit als Teenager etwas verpasst zu haben?

Schlierenzauer: Verpasst würde ich nicht sagen. Ich habe viel erlebt, das andere nicht erleben durften. Aber seitdem ich neun Jahre alt war, habe ich immer fokussiert ein Ziel verfolgt. Mir fehlte die Zeit, ein normales Leben mit normalen Gedanken zu führen. Diese Zeit habe ich mir während meiner Pause genommen.

SPOX: In einem Interview haben Sie zuletzt gesagt, "ich will nicht mehr der Schlieri sein". Stört Sie dieser Spitzname?

Schlierenzauer: Stören würde ich es nicht nennen, aber mit dem Namen "Schlieri" fühle ich mich so klein und jugendlich. Daher würde ich mir eher wünschen, Gregor genannt zu werden. "Schlieri" war einmal sehr schön und nett, aber es ist eine Verniedlichung. Ich bin einfach der Gregor.

SPOX: Diese Sichtweise erinnert an Bastian Schweinsteiger, der einst ebenfalls die Medien aufforderte, den Namen "Schweini" ad acta zu legen. Erkennen Sie Ähnlichkeiten?

Schlierenzauer: Ich sehe nicht nur die Parallele zu Bastian Schweinsteiger. Viele andere Sportler haben früher oder später diese Entwicklung durchmachen müssen, um nach Rückschlägen eine gereifte Persönlichkeit zu entwickeln, beispielsweise auch Anna Veith, Tiger Woods oder Michael Phelps.

SPOX: Es hört sich so an, als würden Sie seit Ihrer Auszeit eine zweite Karriere starten.

Schlierenzauer: Ja. Es geht für mich neu los. Ich bin upgedatet. Von dem, was war, kann ich mir nichts mehr kaufen. Die Erinnerung bleibt, aber jetzt geht es weiter.

SPOX: Während Ihrer Auszeit und auch schon davor haben die Bücher von Alexander Pointner und Thomas Morgenstern in der Öffentlichkeit ein neues Bild von Ihnen gezeichnet - als ehrgeiziger Vollblut-Athlet, der durchaus auch einmal laut werden kann. Haben Sie sich während der Auszeit mit diesem Feedback beschäftigt?

Schlierenzauer: Es sind damals mehrere Dinge auf mich eingeprasselt. Wenn Sie diesen konkreten Fall ansprechen, muss ich schon dazusagen, dass nicht alles stimmt, was damals kolportiert wurde. Thomas und ich stehen bereits seit jungen Jahren in der Öffentlichkeit, natürlich wurde da einiges medial hochgekocht. Als Jugendlicher ist man manchmal einfach brennhaß'. Die Art, für die ich von mancher Seite kritisiert worden bin, war einfach die, die ich mir angeeignet hatte, um mit diesen enormen Druck und der ständigen Öffentlichkeit seit meiner Kindheit umzugehen. Im Nachhinein war es sicher nicht die beste Methode, aber ich kannte keine andere. Es war so als würde ich mich unter einem Umhang verstecken. Ich habe meine Meinung nie runtergeschluckt, sondern immer frei gesagt. Natürlich kommt es darauf an, wie und wann man es sagt. Das ist ein Punkt, den man lernt, wenn man erwachsen wird. Ein gewisser Egoismus gehört zum Sportlerdasein dazu, aber ich habe sicher nicht immer richtig reagiert. Es war wichtig, diese Erfahrungen zu machen.

SPOX: Wie würden Sie im Vergleich dazu ihr aktuelles Verhältnis zu den jetzigen Teamkollegen, Stefan Kraft und Michael Hayböck und Co, beschreiben?

Schlierenzauer: Wir sind alle drei in einem ähnlichen Alter. Trotzdem habe ich aufgrund meiner frühen Erfolge einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Lange Zeit gab es gar keine Berührungspunkte. Aber jetzt haben wir ein tolles Teamklima.

SPOX: Sie gehen in Ihre 13. Weltcup-Saison. Was haben Sie gemacht, um wieder an Ihre alten Erfolge anknüpfen zu können?

Schlierenzauer: Der Skisprung-Sport hat sich weiterentwickelt. Ich habe versucht, die Erfahrungen aus dem letzten Winter zu analysieren und zu erkennen, wo noch Potenzial ist. Im Bereich der Kraftentwicklung musste ich einiges aufholen, dazu wollte ich auch skisprungtechnisch wieder dorthin kommen, wo die Musik spielt.

SPOX: Sie haben die schnellen Entwicklungen im Skispringen angesprochen. Waren die Entwicklungen der vergangenen Jahre eher zu ihrem Vor- oder zu Ihrem Nachteil?

Schlierenzauer: Für mich waren sie eher weniger gut. Es ist kein großes Geheimnis, dass ich meine Körperform nicht mehr ganz so ausspielen kann, seitdem es die neue Bindung gibt. Dazu kamen die engen Anzüge, die die Fliegertypen benachteiligen. Leider spielt mittlerweile auch wieder das Körpergewicht und die Körpergröße eine entscheidende Rolle. Momentan geht die Tendenz dazu, dass kleinere und leichte Springer einen Vorteil haben, aber diese Herausforderung nehme ich gerne an.

SPOX: In dieser Saison stehen Olympische Spiele an. Was verbinden Sie mit dem Wort Olympia?

Schlierenzauer: Die Olympischen Spiele haben etwas Mystisches an sich. Schon als kleines Kind habe ich meinem Onkel zugesehen, die Spiele sind einfach für jeden Athleten etwas Besonderes, aber mehr auch nicht (lacht).

Schlierenzauers Titel und Medaillen
Olympische Spiele1 Gold-Medaille (Team)
1 Silber-Medaille (Team)
2 Bronze-Medaillen
Weltmeisterschaften6 Gold-Medaillen (5 Mal Team)
5 Silber-Medaillen (2 Mal Team, 1 Mal Mixed)
1 Bronze Medaille (Team)
Skiflug-WM4 Gold-Medaillen (3 Mal Team)
1 Silber-Medaille
Vierschanzentournee2 Gesamtsiege
Weltcup53 Einzelsiege (Rekord)
16 Team-Siege
2 Gesamtweltcup-Siege

SPOX: Ihr Onkel Markus Prock ist ein gutes Stichwort. Er war ein hervorragender Rodler und hat alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt - außer Olympia-Gold. Sie laufen der Einzel-Goldmedaille bei Olympischen Spielen ebenfalls noch hinterher.

Schlierenzauer: Eine Schande, gell? (lacht)

SPOX: Überhaupt nicht! Aber Sie wissen, dass Sportler in der Öffentlichkeit oft an Titeln und Medaillen gemessen werden. Verspüren Sie einen Druck, dieses Gold holen zu müssen?

Schlierenzauer: Ich habe in meiner Auszeit gelernt, dass sich im Leben immer alles auf Liebe reduziert - auf Liebe zu Dingen und Personen. Ich habe die Liebe zu mir selbst und zum Skispringen wieder gefunden. Das ist ein Riesen-Privileg. Ich habe schon viele Träume leben dürfen. Natürlich fehlt in dieser Erfolgsliste noch das Olympia-Einzelgold, aber es ist völlig egal, ob ich das erreiche oder nicht. Einen Tag später ist die Medaille schon wieder staubig. Das Einzige, was man als Athlet mitnimmt, ist der Weg dorthin. Ob es dann schlussendlich eintrifft, steht in den Sternen.

SPOX: Die Olympischen Spiele sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr zu einer Geldmacherei geworden. Die Bedürfnisse der Sportler, aber auch jene der lokalen Bevölkerung sind in den Hintergrund getreten. Sehen Sie diese Entwicklung kritisch?

Schlierenzauer: Die letzten Spiele standen unter einem weniger guten Stern, was das Drumherum betrifft. Aber mich hat es als Athlet geprägt, die weltbesten Sportler im Fernsehen zu sehen. Das war für mich eine Triebfeder, um mit voller Motivation zum Training zu fahren. Es ist etwas Großartiges, den weltbesten Athleten bei ihrer Perfomance zuzuschauen. Natürlich ist auch viel Geld im Spiel, aber wenn ich an die Tiroler Olympiabewerbung denke - das wäre eine echte Win-Win-Situation. Österreich ist einfach eine Wintersport-Nation. Die Tiroler Sportstätten würden auf jeden Fall nachgenutzt werden. Es gäbe keinen übertriebenen Gigantismus. Der Sport würde wieder im Vordergrund stehen. Daher bin ich den Olympischen Spielen nach wie sehr positive eingestellt.

SPOX: Mit Severin Freund verpasst einer Ihrer wohl stärksten Konkurrenten die Olympischen Spiele aufgrund einer Verletzung. Sie haben ähnliche Rückschläge erlebt. Wie kann man sich da überhaupt neu motivieren?

Schlierenzauer: Wenn man daran glaubt und sich für seinen Körper Zeit nimmt, kommt die Motivation von alleine. Natürlich muss man zuerst alles verdauen, aber wenn man den anderen Athleten im Fernsehen zuschaut, kann man diese positiven Emotionen mitnehmen. Zudem lernt man auch, gewisse Dinge richtig einzuordnen. Wie gesagt - es reduziert sich im Leben alles auf Liebe. Wenn du herausfindest, was dir Energie gibt, ist das das größte Geschenk und dann kannst du jeden Rückschlag bewältigen.

SPOX: Letzte Frage: Können Sie sich eigentlich vorstellen, so lange Ski zu springen wie Noriaki Kasai?

Schlierenzauer: Ich war schon einmal ganz knapp dran, die Ski ins Eck zu stellen. Durch meine Auszeit bin ich jetzt aber wieder irrsinnig motiviert. Mir macht das Skispringen enorm viel Spaß. Ich habe fix eingeplant, noch mindestens bis 2019 zu springen. Dann findet die Heim-WM in Seefeld statt. Danach müssen wir schauen, ob es noch einmal in Richtung Olympische Spiele geht. Noriaki ist für den Skisprung-Zirkus eine Bereicherung, aber mein Fall wäre es nicht, so lange zu springen.

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